Title: Folie 1
1Essener Leitlinien zur interkulturellen
Psychotherapie
2Essener Leitlinien zur interkulturellen
Psychotherapie
- Interkulturalität in psychotherapeutischer
Praxis, Aus- und Fortbildung, - Forschung und in der Öffnung von
Institutionen - Erim Y, Toker M, Aygün S, Özdemir Z,
Renz M, Gün AK - (Psychotherapie im Dialog, Dezember
(4)/2010, Themenheft Migration)
3Deutschland- Einwanderungsland
4Wer ist ein Migrant?
- Mindestindikatorensatz zur Erfassung des
Migrationsstatus
Quelle Schenk L et al. (2006).
Mindestindikatorensatz zur Erfassung des
Migrationsstatus. Empfehlungen für die
epidemiologische Praxis. Bundesgesundheitsbl
Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 49 853
860.
5Sind Migranten psychisch gesünder oder
häufiger von Erkrankungen
betroffen?
- Epidemiologische Studien, z.B. Die
Stichtagserhebung (Schouler Ocak 2009) - Reanalysen von bevölkerungsrepräsentativen
Studien (Bermejo et al. 2010, Gläsmer et al. 2009)
6Deutsche Institutionen und Zuwanderer
7Organisationen
The Asian American Psychological Association
(AAPA)
8Organisationen in Deutschland
9Ziele der Leitlinien
- Psychotherapeuten mit der Notwendigkeit einer
sensiblen Wahrnehmung der Interkulturalität und
Diversität in allen Formen psychotherapeutischer
Praxis, Ausbildung und Forschung vertraut machen. - Grundlegende Informationen bezüglich der
Besonderheiten interkultureller
psychotherapeutischer Begegnung vermitteln. - Die Wahrnehmung kultureller Diversität und
kulturell sensitive Interventionen in der
Behandlung fördern.
10Schwerpunkte der Leitlinien
- Der Therapeut, der seine Selbstanteile im Kontext
seines kulturellen Erbes und seiner sozialen
Identität reflektiert und über andere kulturelle
Kontexte und Normen informiert ist - Der Patient in seinem kulturellen und
migrationsbezogenen situativen Kontext - Die Anwendung von Interkulturalität in
Ausbildung, Fortbildung, Forschung, Klinik und im
Wandel der Institutionen
11Prämisse
- Psychotherapeuten sollten aus berufsethischer
Verpflichtung in der Lage sein, mit Zugehörigen
von verschiedenen kulturellen Gruppen adäquat zu
arbeiten und deren Rechte zu respektieren - Sie sollten zur sozialen Gerechtigkeit beitragen
12Agenda
- Leitlinie I
- Einflussfaktoren auf die Wahrnehmungsbereitschaft
und verzerrungen der Psychotherapeutin - Wahrgenommene Faktoren im Patientenkontakt
- Soziale Kategorisierungstheorie
- Ingroup und Outgroup
- Muzaffer Serif Basoglu
- Bedeutung für Psychotherapeuten
- Folgerung für Psychotherapeuten
- Leitlinie II
13Leitlinie I
- Psychotherapeuten sollten beachten, dass sie als
kulturelle Wesen Haltungen und Überzeugungen
haben, die ihre Wahrnehmung beeinflussen und ihre
Begegnung mit Individuen aus anderen ethnischen
Gruppen beeinträchtigen können
!
14Einflussfaktoren auf die Wahrnehmungs-
bereitschaft und verzerrungen der
Psychotherapeutin
- Faktoren
- Das eigene kulturelle Erbe
- Die eigene Ethnie
- Eigene religiöse Überzeugungen
- Die eigene sozioökonomische Herkunft
- Die eigene sexuelle Sozialisation u. a.
15Wahrgenommene Faktoren im Patientenkontakt
SCHWACH
STÄNDIG PRÄSENT
Physische Erscheinung Alter Geschlecht
Ethnische Zugehörigkeit
Quellen Kunda Thagard, 1996
16Soziale Kategorisierungstheorie nach Allport
- Organisation der mannigfaltigen Informationen
über den Gesprächspartner durch sozial erlernte
Kategorisierungen (z.B. Kulturalisierungen,
a-Bias nach Schepker) und Stereotype
Quellen Allport (1954), Schepker (1997)
17Ingroup und Outgroup
Bildung von Ingroup und Outgroup durch
Eigenkategorisierung
- Ingroup vs. Outgroup-Bias (Ingroup-favouritism)
- Ingroup-Mitglieder ähnlicher
- Ingroup-Mitglieder kompetenter, wärmer,
sympathischer
Tajfels Minimal Group Paradigma 1971 und
Zimbardos Stanford-Prison-Experiment 1971
Quellen Turner, Brown Tajfel (1979), Tajfel
Turner (1986), Fiske (1998), Brewer Brown
(1998), Hornsey Hogg (2000)
18Muzaffer Serif Basoglu
- ( 29. Juli 1906 in Ödemis, Izmir, Türkei 16.
Oktober 1988 in Fairbanks, Alaska, USA) - war ein türkischer Sozialpsychologe, der zu den
Begründern und führenden - Wissenschaftlern seines Fachs gehörte. Besonders
beschäftigte er sich mit - Inter- und Intragruppenkonflikten (vgl.
Konfliktforschung). Neben seinen - Ferienlagerexperimenten (Robber's-Cave-Experime
nt) von 1949, 1953 und - 1954 erlangte er internationale Anerkennung für
seine Untersuchung zu - Gruppendruck und Konformität unter Verwendung des
autokinetischen Effekts - im Jahre 1935.
19Bedeutung für Psychotherapeuten
- Sogar Individuen, die ganz bewusst eine egalitäre
Haltung einnehmen, weisen unbewusst negative
Assoziationen, Stereotype und Einstellungen
gegenüber Angehörigen einer Minderheit auf
Implicit Stereotyping
20Bedeutung für Psychotherapeuten
- Stereotype haben eine starke Resistenz gegenüber
korrigierenden Informationen
Implicit Stereotyping
21Folgerungen für Psychotherapeuten
- GEWAHRSEIN der eigenen Weltsicht mit
gleichzeitiger OFFENHEIT für das Verständnis des
anderen kulturellen Referenzrahmens.
Interkulturelle Selbsterfahrung
22Leitlinie II
- Psychotherapeuten werden ermutigt, die Bedeutung
der - interkulturellen Sensibilität und Responsivität,
die Bedeutung - des Wissens und Verständnisses für Individuen aus
einer - anderen Ethnie zu erkennen
!
23Leitlinie II
- Therapeuten sollten die kulturelle und ethnische
Prägung der auf das Selbst - bezogenen Kognitionen ihrer Patienten erkennen
- Sie sollten auch sensibel sein für Besonderheiten
der Lebenssituation ihrer - Patienten, die im kulturellen und
migrationsbezogenen Kontext entstehen.
BEISPIELE
- individualistische vs. kollektivistische Kultur
- andere Kulturen andere Krankheitswahrnehmung
(z. B Alter geht mit Krankheit und
Beeinträchtigung einher oder nicht)
24Leitlinie II
- Ultimate attributional error
- Stigmatization / stereotype threat
- Benachteiligungen und Diskriminierungen in fast
allen relevanten sozialen Bereichen nachweisbar - Besondere rechtliche Situation von Ausländern und
Flüchtlingen
25- Muttersprachliche Psychotherapie /Ethnic matching
- Leitlinie I und II zusammen
- Wenn Patient und Therapeut aus der gleichen
Ethnie kommen und die gleiche Sprache sprechen,
müsste Therapie dann nicht erfolgreicher sein? - Gemeinsame ethnische Herkunft wird als ein Symbol
für geteilte Erfahrungen angesehen, oft wird
angenommen, dass gemeinsame ethnische Herkunft
des Patienten und des Therapeuten zum Aufbau
einer therapeutischen Allianz beitragen. Viele
Autoren haben behauptet, dass Migranten sich
lieber bei ethnischen Therapeuten in Behandlung
begeben.
26- Fragestellungen zur muttersprachlichen
Psychotherapie - Ziehen Migranten und Patienten aus ethnischen
Minderheiten ethnisch passende oder
muttersprachliche Psychotherapeuten vor? - Sind bei muttersprachlichen Behandlungen
Abbrüche seltener und die Therapietreue e höher
als bei gemischten Therapeut- Patientendyaden? - Haben die ethnische Passung oder die
muttersprachliche Behandlung Effekte auf den
Prozess oder den Erfolg der Psychotherapie? - Bisherige Forschungsmethodologie und Ergebnisse
nach Karlsson 2004 - Studien mit Analogsituationen?kein eindeutiges
Ergebnis - Retrospektive Studien Untersuchung der
Sitzungszahl?weniger Abbrüche und mehr Sitzungen
bei ethnischer Passung - Studien zur Wirksamkeit muttersprachlicher
Psychotherapie liegen bisher kaum vor -
- .
27Leitlinie III
- Als Lehrende werden Psychotherapeuten ermutigt,
die Konstrukte der - Interkulturalität und der Unterschiedlichkeit in
ihrem Unterricht zu - etablieren.
!
28Colour-/Culture Blind
- Befürchtung, dass durch die Fokussierung
kultureller Differenzen Stereotype
festgeschrieben werden könnten - und auf diese Art Vorurteile bestätigt werden.
- Schwierigkeit, tabuisierte und unangenehme
Themen, wie z.B. Schuldgefühle zu thematisieren
29Ethnozentrischer Monokulturalismus
- Implizit eigene kulturelle Gruppe ist anderen
überlegen -
- Kultur und Multikulturalität werden nicht als
legitime Bereiche psychologischer Forschung
angesehen - Keine Unterstützung für qualifizierte
wissenschaftliche Arbeiten zu kulturellen
Fragestellungen
30Situation in Deutschland
- Trainings zur interkulturellen Kompetenz
- Curricula und Fortbildungen außerhalb des
regulären Gegenstandskatalogs
31Leitlinie IV
!
- Forscher mit interkultureller Sensibilität werden
ermutigt, - die Bedeutung von kulturzentrierter
Psychotherapie-Forschung über - ethnische, kulturelle und sprachliche
Minderheiten zu erkennen.
32Stichproben
- Kultur
- Sprache
- Schichtspezifika
- Migrationsstatus
33Kontakte der Wissenschaftler zur
Gemeinde und
sozialpolitische Verantwortung
- Immer eine vertrauensvolle und egalitäre
Beziehung zu Vertretern der jeweiligen Gemeinde
und Gruppe aufnehmen - Klären, wie die untersuchte Gruppe von den
Ergebnissen der Studien profitieren kann
34Interkulturelle Adaptation und Validität der
Messinstrumente
- interkulturelle Konstruktvalidität
- kulturbezogene Hypothesen als zentrale
Erklärungen diskutieren
35Leitlinie V
- Psychotherapeuten streben kulturell
- adäquate Kompetenzen in klinischer oder
- anderer angewandter Praxis an.
!
36Leitlinie 5.1 In der Begegnung mit Patienten
- Für eine interkulturell kompetente
psychotherapeutische Haltung ist es nicht
notwendig, ein absolut neues psychotherapeutisches
Wissensrepertoire zu entwickeln. - Psychotherapeuten sollten aber wissen, dass in
einer interkulturellen Psychotherapie
Interventionen oft den Erfordernissen der
Situation angepasst werden müssen
37Leitlinie 5.2 Patienten in ihrem kulturellen
Kontext
- Migrationsentscheidung und grund, die
Generationenfolge in der Migration,
Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus,
Sprachkenntnisse, familiäre Unterstützung oder
Aufgelöstheit der familiären Bande,
Eingebundenheit im sozialen Netzwerk der
Landsleute, Akkulturationsstress in Arbeit,
Schule oder Nachbarschaft, Betroffenheit durch
schichtspezifische Probleme wie Arbeitslosigkeit
oder beengter Wohnraum etc.
38- Leitlinie kultursensitive Befunderhebung
- (Cultural Formulation Guidelines)
- Kulturelle Identität des Patienten einschließlich
seiner Wertorientierungen, Sprachkenntnisse,
Krankheitskonzepte, Selbst- und Körperbild,
Weltanschauung - Einflüsse der Kultur auf das Krankheitserleben
und das Inanspruchnahmeverhalten sowie - auf die Interaktion mit der Familie und
schließlich - auf die Interaktion zwischen dem Patienten und
dem Untersucher. - Mezzich JE, Caracci G, Fabrega H et al.
Transcultural Psychiatry 2009, 46383-405
39Leitlinie 5.3 In Diagnostik und Beurteilung
- Psychotherapeuten sollten die Unzulänglichkeit
von psychometrischen Instrumenten, die nicht für
eine spezifische Gruppe validiert wurden,
berücksichtigen - Die Essener Arbeitsgruppe (Erim und Beckmann) hat
das Screening für somatoforme Störungen (SOMS)
für türkischsprachige Migranten validiert (im
Druck, Diagnostica) - Das Essener Trauma Inventar (ETI) liegt in einer
türkischen Übersetzung vor, gute interne
Konsistenz wurde belegt (Tagay et al.) . - Becks Depressionsinventar (BDI) ist ins
Türkische übersetzt und in der Türkei validiert
von N. Hisli. - SCL-90 ist in der Türkei seit vielen Jahren in
Anwendung
40Leitlinie 5.4 Empfehlungen für
Intervention in der interkulturellen
Psychotherapie
- Interkulturell interessierte und kompetente
Therapeuten werden ermutigt, Fähigkeiten und
Interventionen zu entwickeln, die den besonderen
Bedürfnissen der Migranten gerecht werden. - Zudem ist es empfehlenswert, sich mit den
traditionellen Therapiepraktiken
unterschiedlicher Kulturen vertraut zu machen,
die in den therapeutischen Prozess integriert
werden können
41Leitlinie VI
!
- Psychotherapeuten werden ermutigt, den Wechsel in
Institutionen zu nutzen, um kulturell aufgeklärte
Organisationspolitiken und -praktiken aufzubauen.
42Interkulturelle Öffnung der Gesundheitsdienste (1)
- Implementierung interkultureller Kompetenzen in
die Institutionsstrukturen, z.B. Einrichtung der
Stelle eines Integrationsbeauftragten - Verankerung von migrantenspezifischen Themen in
Aus-, Fort- und Weiterbildungscurricula - Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
mit Mutter- und Fremdsprachenkompetenzen - Aufbau eines Dolmetschernetzes
- Erstellung einer internen Fremdsprachenliste
43Interkulturelle Öffnung der Gesundheitsdienste (2)
- Muttersprachliches Informationsmaterial und
Übersetzung relevanter Formulare - Einführung von Datenerhebungsverfahren über die
Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergru
nd - Aufbau eines internen multiprofessionellen
Qualitätszirkels Integration - Einrichtung eines interkulturellen Konsildienstes
und feste Verankerung von interkultureller
Supervision - Nutzung von vorhandenen Ressourcen
44Interkulturelle Öffnung der Gesundheitsdienste (3)
- Vertretung von migrantenspezifischen Themen in
allen internen Gremien - Aufbau eines Intranetportals
- Öffentlichkeitsarbeit
- Erarbeitung von Qualitätskriterien und
Checklisten zur Überprüfung der Interkulturalität
45- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!