Title: Einf
1Einführung in die Germanistische Linguistik
- 13. Sitzung
- Der Erwerb der Muttersprache
2Die Hauptstadien und -komponenten
- Mit der Ontogenese der Sprachfähigkeit ist jene
Entwicklungsphase gemeint, in der die
körperlichen Voraussetzungen einer Lautsprache
geschaffen und diese Fähigkeit, sprachliche Laute
zu produzieren, entwickelt wird. Sie umfasst den
Zeitraum zwischen ersten feststellbaren
inter-uterinen Lautäußerungen und
Gehörleistungen, über den Geburtsschrei, die
Entwicklung der Schreimuster und die Reifung der
auditiven Wahrnehmung (in den beiden ersten
Monaten) bis zur Lallperiode und der
experimentellen Lautphase. Mit dem Beginn der
Anpassung der Laut- und Wortmuster an die Sprache
der Umgebung endet diese Phase, die
Sprachfähigkeit ist voll entwickelt und mit ihr
die Fähigkeit zum Sprachlernen, wozu auch die
emotionalen, visuell-motorischen und sozialen
Fähigkeiten gehören, die für das Sprachlernen und
den Sprachgebrauch konstitutiv sind.
3Die endogene Entwicklung der Sprachfähigkeit
- Die Hauptaspekte sind
- die Entwicklung des Mundraumes und seiner
Motorik, - die Atmung, insbesondere der Übergang von der
Bauch- zur Brustatmung, - das Gehör, das bereits im Mutterleib entwickelt
ist und sich in den ersten beiden Lebensmonaten
des Säuglings rasch entfaltet, - das Gehirn, das sowohl für die Koordination
dieser Teilfähigkeiten wie auch für die
Entstehung einer Beziehung zur Wahrnehmung und
Motorik und für das Gedächtnis zentral ist. Eine
auffällige Rolle beim Spracherwerb spielt dabei
die Lateralisation des Gehirns (vgl. Kap 1). Wir
wollen die Entwicklung chronologisch verfolgen
4Inter-uterine Lautartikulation und Gehör
- Im Uterus sind bereits orale Funktionen beim Kind
entwickelt, es trinkt, lutscht am Daumen und
schreit beim Verlust des Daumens. Diese drei
Funktionstypen bilden allerdings noch eine
funktionale Einheit und verstärken sich
gegenseitig. - Trinken, Lutschen, Schreien sind orale
Funktionen mit analogem Funktionswert. Ihr
gegenseitiger Austausch oder Ersatz dient der
Konstanterhaltung der Funktionen". - Das Kind ist in der Lage, Herztöne und
Darmgeräusche der Mutter wahrzunehmen.
5Die Geburt
- Die Geburt bedeutet einen radikalen Wechsel
sowohl grundlegender körperlicher Funktionen als
auch in der Außenwelt. (Umstellung der Atmung,
der Nahrungsaufnahme, Luftmilieu statt
Flüssigkeitsmilieu.) Der Geburtsschrei aktiviert
gleichzeitig die Lungenatmung und löst die erste
Wahr-nehmung der eigenen Lautproduktion (im
Luftmilieu) aus. - Im Schrei ist auch der Appell an die Mutter
(instinktiv) ent-halten und es beginnt mit dem
Schrei und der Reaktion der Pflegeperson (der
Mutter) auf den Schrei die soziale Interaktion.
Damit sind Selbstwahrnehmung und sozialer
Wirkungszusammenhang bereits in dieser
Startsituation gegeben. Sie werden im Folgenden
funktional und differenziert in der Art und Weise
ihrer Realisierung entfaltet.
6Die nachgeburtliche Entwicklung bis zur Lallphase
- Die Schallwahrnehmung entwickelt sich sehr
schnell. Bereits nach sechs Stunden reagiert der
Säugling auf Schall. In der zweiten und dritten
Woche reagiert es auf Sprache als spezielles
Geräusch, diese Differenzierung ist bereits in
der dritten Woche deutlich ausgeprägt der
Säugling reagiert auf die Wahrnehmung
menschlicher Sprache durch verstärktes Saugen.
Dies zeigt, dass die Sprachwahrnehmung subjektiv
an die instinktive Bewegung der Nahrungsaufnahme
gekoppelt ist. In der weiteren Entwicklung
differenziert sich das Schreien des Kindes in - das Hintergrundschreien (etwa wenn der Säugling
vier Stunden keine Nahrung erhalten hat), - der Schmerzensschreien,
- das Plappern, als Austausch des Wohlgefühls (etwa
ab dem dritten Monat.
7- Die differenzierten Schreie des Säuglings und
seine individuelle Eigenart können von den
Müttern identifiziert werden, außerdem geben sie
dem Arzt Auskünfte über die Entwicklung und evtl.
Störung des Kindes. Die Bezugspersonen reagieren
allerdings nicht alle gleich gut, d.h. es gibt
Unterschiede der Aufnahmefähigkeit und einen
Lernprozess bei den Bezugspersonen. In
Wasz-Hokert, (1981) wurde anhand von
Hauttemperatur-Messungen eine sog. Risikogruppe"
von Müttern definiert, die auf die Provokation
von Hunger- und Schmerz-geschrei geringer
reagierte als eine Gruppe normaler Mütter
(erhoben anhand von 600 Erstgebärenden). Eine
nicht genügende Reaktion der Bezugsperson kann zu
Störungen des Entwicklungsverlaufs beim Säugling
führen. Eine Mutter kann unter neun Neugeborenen
ihr eigenes am Schreien identifizieren, außerdem
zeigten Unter-suchungen in Sheffield an Müttern,
die zu fünft mit ihren Säuglingen in einem Raum
schliefen, dass meist nur die Mutter des
schreienden Kindes aufwachte. Das Schreien des
Kindes ist also sowohl als Appell als auch als
Identifikationssignal eine sehr effektive
Kommunikation.
8- Eine weitere Funktion gerade (und nur) der
vorsprachlichen und frühen Sprachentwicklung
liegt in ihrer Aggressionshemmung (vgl.
Eibl-Eibesfeld, 1981 519). Hauptstadien dieser
kommunikativen Funktion beim Säugling sind - Der Säugling lässt sich durch Streicheln oder
Stillen beruhigen (Neugeborenes). - Beim Erblicken eines Gesichts hält er kurz inne
(1. Monat). - Beim Ansprechen der Mutter reagiert das Kind
durch Fixieren des Blicks und durch ein
flüchtiges Lächeln (Ende des 2. Monats). - Das Kind folgt einer sich bewegende Person mit
den Augen, Einsetzen des sog. sozialen Lächelns"
(Ende des 3. Monats). - Lautes Lachen, wenn das Kind von Erwachsenen
geneckt wird (Ende des 4. Monats).
9- Die Entwicklung des Sprachverstehens und der
Sprachpro-duktion (inklusive Schreien und Laute)
ist parallel zur Entwicklung anderer
Verhaltensformen und kann mit diesen korreliert
werden. Für die Diagnose von Entwicklungsstörungen
sind einige Asynchronien aufschlussreich.
Hellbrüge und seine Mitarbeiter haben eine
statistische Normalitätstabelle ent-wickelt, nach
der für jedes einzelne Verhalten das
Standard-alter bestimmt werden kann. Asynchronien
der jeweiligen Altersstufen sind aussagekräftig
für Retardierungen und deren Ursachen. Ich gehe
kurz auf das Schema der Münchener funktionalen
Entwicklungsdiagnostik" ein. Sie unterscheidet
(neben den realen Alter in Jahren) die folgenden
Stufen - Krabbelalter Perzeptionsalter Sitzalter
Sprachalter - Laufalter Sprachverständnisalter
- Greifalter Sozialalter
10Die zur Sprache führende kognitive und soziale
Entwicklung des Kindes
- Es gibt zwei extreme Positionen, welche im
Forschungsprozess der Psycholinguistik
disqualifiziert wurden und deshalb außerhalb
unserer Betrachtung bleiben - Der extreme Nativismus. Die Grammatik (als
Universalgrammatik) ist dem Kinde angeboren und
tritt nach Ablauf der körperlichen (normalen)
Reifung schlagartig in Erscheinung. Lernprozesse
sind lediglich Filter, welche nicht zur
Umgebungssprache passende Regeln eliminieren (in
einer Art Falsifikationsprozess à la Popper). - Der extreme Behaviorismus. In Reiz-Reaktions-Situa
tionen lernen" Kinder akzeptables
Sprachverhalten. Es gibt kein (wissenschaftlich
zugängliches) allgemeines System, d.h. die black
box der Kognition und der Sprachverarbeitung ist
uneinsehbar.
11Der Ansatz von Piaget (Genfer Schule)
- Piaget hat eine dynamische Sicht auf den
Spracherwerb, den er als Fließgleichgewicht
(Äquilibration) von zwei, teilweise konträren
Prozessen ansieht - Die Assimilation. Alles Wahrgenommene, Gelernte
wird in bereits vorhandene Schemata oder
Operationen integriert. Dabei wird in erster
Linie der Input modifiziert (interpretiert). - Die Akkomodation. Das System der Schemata und
Operationen wird verändert, wodurch eine bessere
Auswertung von Wahrnehmungen und Lernchancen
erreicht wird. - Das Gleichgewicht (Äquilibration) definiert
Entwicklungsstufen, die allerdings individuell
sehr variabel realisiert werden (in verschiedenen
Zeitstufungen). Diese Grundvorstellung ist
vielfach kritisiert und modifiziert worden,
bleibt aber als dynamischer Ansatz relevant.
12Die sensomotorische Stufe
- Sie dauert bis 1 ½ oder 2 Jahre und enthält eine
erste Periode der Zentrierung auf den eigenen
Körper (sieben bis neun Monate) gefolgt von einer
Periode, in der die praktische Intelligenz an den
Raum angepasst wird. - Nach Piaget erwirbt das Kind mit ca. 2 Jahren den
Plan des konstanten Objektes. Eine ganze Reihe
von im Anschluss an Piaget durchgeführten
Experimenten zeigt, dass die Objektkonstanz stark
von den Objekten und den Kontexten ihres
Auftretens bzw. Verschwindens abhängt. So sucht
das Kind bei Verdunkelung bereit mit 5 bis 7
Monaten nach dem verschwundenen Objekt ein
Verschwinden hinter der Wand wird eher als
Weiterexistenz interpretiert als ein Zudecken
(Verschwinden in). - Selbst Erwachsene glauben manchmal, der im Wasser
aufgelöste Zucker habe aufgehört zu existieren.
Zusammengefasst heißt dies, es wird nicht so sehr
eine formale Konstanzeigenschaft als vielmehr
eine inhalts- und kontextbezogene Eigenschaft
gelernt, die zudem von der Entwicklung des
Gedächtnisses abhängig ist und deren Nachweis
außerdem die Fähigkeit zur zielorientierten
Bewegung voraussetzt.
13Die präoperationale Phase
- In dieser Phase wird die sogenannte
"Vorstellungsintelligenz" weiter entwickelt. Im
Alter von etwa zweieinhalb Jahren bilden sich
sensomotorische Prozesse zu inneren Bildern und
zur Sprache weiter dabei sind Spiel und Traum
wichtige Stadien des Übergangs. In ihnen wird die
Imitation kreativ gestaltet und zur
Repräsentation weiterentwickelt. Piaget sagt in
seinem Buch "Nachahmung, Spiel und Traum"
(Piaget, 1969 273) - "In den großen Linien kann man also sagen, dass
sich mit der geistigen Entwicklung die
nachahmende Akkommodation und die spielerische
Assimilation immer enger koordinieren, nachdem
sie einmal differenziert worden sind ... im
Symbolspiel liefern die zuvor nachahmenden
Vorstellungsbilder die "Zeichen" und die
spielerische Assimilation die Bedeutungen im
angepassten Denken integriert, beziehen sich
Vorstellungsbild und Assimilation schließlich auf
die gleichen Gegenstände."
14Egozentrismus
- Ein konstitutives Merkmal dieser Phase, der
Egozentrismus des Kindes, war einer breiten
Kritik ausgesetzt. Als vorläufiges Resultat
dieser Kritik kann man nur noch von einer Zunahme
der inhaltlichen Dezentralisierung sprechen.
Zeil-Fahlbusch (1983 34) beschreibt diese
Konzeption wie folgt - Von einer Stufe der Zentrierung auf ein Ich, das
sich selbst nicht erkennt, weil Subjektives und
Objektives nicht geschieden sind, führt die
allmähliche Dezentrierung des Subjektes zur
doppelten Bewegung der Exteriorisation, die auf
die physikalische Objektivität bzw. soziale
Reziprozität hinzielt, und der Interiorisierung,
die auf die logisch-mathematische Kohärenz bzw.
moralische Autonomie hinzielt.
15Die konkret-operationale Stufe
- Auf dieser Stufe, welche eine Reihe
klassenlogischer Strukturen (Klassifikation,
multiple Klassifikation, Inklusion,
Transitivität) und geometrischer (vorwiegend
euklidischer) Konzepte hervortreten lässt, ist
das Lernen offensichtlich je nach Inhalt und
Kontrast der Vergleichsobjekte bzw. je nach
Prägnanz der Eigenschaften sehr unterschiedlich,
so dass die grundlegende Strukturgenese nur als
abstrakte Generalisierung gültig ist. Diese Stufe
wird etwa mit sieben bis acht Jahren erreicht.
16Die formal-operationale Stufe
- Der Heranwachsende (zwischen dem 11. und dem 15.
Lebensjahr) wird fähig, abstrakte
Denkoperationen, in denen Hypothesen und mögliche
Konsequenzen ins Auge gefasst werden,
auszuführen. Er nützt dabei die logische
Kombinatorik und das Denken in Proportionen
(relativen Größen und Gewichten). Die
Vertrautheit der Inhalte scheint auch auf dieser
Stufe eine wesentliche Determinante zu sein
außerdem wird diese Stufe selbst von Erwachsenen
nur sehr unvollständig erreicht. - Insgesamt ergibt die Auseinandersetzung mit dem
Werk von Piaget (besonders seit den 60er Jahren,
als seine Arbeiten in den USA rezipiert wurden)
eine revidierte Stufentheorie.
17Zusammenfassung
- Die sensomotorische Phase
- - enaktive Repräsentation des Erkennens.
- Die unbewusst-situationsgebundene Phase
- ikonische und symbolische Repräsentation von
Wahrnehmungsinhalten, - - enaktive Repräsentation von
Prozessstrukturen. - Die bewusste, situationsabgelöste Phase Es
bleibt eine Beschränkung auf bestimmte Inhalte
bestehen. - Die formal-abstrakte Phase
- Inhaltsgebundene, abstrakt-symbolische
Repräsentationen sind in spezifischen Bereichen
erreichbar (z.B. in den mathematisierten
Wissenschaften).
18Bruners pragmatische Theorie der Herausbildung
von Sprache
- Primär für Bruner ist
- Die Zielgerichtetheit der kindlichen kognitiven
Tätigkeit. - Der außerordentlich kommunikative und soziale
Charakter des kindlichen Handelns und Sprechens
in den ersten eineinhalb Jahren sowie die
Einbettung in eng umgrenzte Situationen der
Familie. - Prinzipiell kann Bruners Hypothese als eine
pragmatisch erweiterte genetische Theorie
angesehen werden. Wir wollen kurz die wichtigsten
Züge seines Ansatzes charakterisieren. - Als Basis der eigentlichen Entwicklung nimmt
Bruner instinktive biologische Prozesse an, wie
Saugverhalten, ursprüngliche Anhänglichkeit
gegenüber der Bezugsperson, erste sensorische
Kontakte mit der Welt.
19Bruner unterscheidet drei Phasen
- Das Hinweisen und die Aufmerksamkeitsbewegungen
- Die Blickbewegungen von Mutter und Kind
durchlaufen nach Bruner die folgenden Phasen der
Koordination - Die Mutter folgt der Blickbewegung des Kindes.
- Das Kind folgt (ab dem 4. Monat) der
Blickbewegung der Erwachsenen. - Die Blickbewegungen von Mutter und Kind sind
koordiniert, so dass eine gemeinsame Fokussierung
der Aufmerksamkeit erreicht wird. - Aus dieser Koordination der Blickbewegungen
entwickelt sich die greifende, die gerichtete und
schließlich die hinweisende Geste.
20- Die verhaltensgemäße Deixis
- Das Kind befreit sich zunehmend von situativen
Reizen und spezifischen Ablaufmustern. Es
versucht, ein feldunabhängiges Bezugssystem zu
entwickeln. - Wenn das Verhalten immer geschickter werden
soll, muss es sich im zunehmenden Maße von der
unmittelbaren und sequenziellen Regulierung durch
Stimuli der Umwelt befreien. Ich meine, dass
diese Freiheit dann erreicht wird, wenn nicht
mehr bloße Reaktionen erfolgen, sondern
Lokalisierungen in einem Bezugssystem gelernt
werden. (Bruner u.a., 1971 41) - Die Orientierung durchläuft folgende Stadien
(wobei eine Diskontinuität möglich aber nicht
notwendig ist)
21- Es wird die Orientierung hier dort
- ich du
- gelernt und benannt.
- Aus der Koordination der Blickrichtung entsteht
die räumliche und personale Deixis. - Im reziproken Spielverhalten wird die Perspektive
und deren Umkehrung (z.B. auch das Geben und
Nehmen) gelernt. - Die sprachliche Deixis bildet die Basis für die
semantischen Rollen (Tiefenkasus).
22- Das Benennen
- In diesem Stadium der Objektfixierung kann das
Kind mit dem Benennen beginnen. Dieses führt in
seiner Ausbauphase zur Prädikation. Sie hat
pragmatisch eine Topic-Comment-Struktur. - Der Topic setzt die Konstitution von
Gegenständen der gemeinsamen Aufmerksamkeit
voraus. Diese können durch Augenbewegungen
(vgl. 1), durch gemeinsames, koordiniertes
Handeln oder durch explizite Deixis (gestisch,
verbal) bestimmt sein. - Der Comment hat als Basis eine intersubjektive
Anteilnahme am Topic und kann beim Kind durch
eine Rückversicherung, z.B. als Blickkontakt zum
Erwachsenen, als Geplapper oder als verbaler
Kommentar, der an den Partner gerichtet ist, zum
Ausdruck kommen.
23- Kommunikative Routinen
- Die kommunikativen Routinen, aus denen später
Modi, Sprechakte und Kasusrollen werden, sind für
Bruner ebenfalls im Vorsprachlichen bereits
vorgeprägt als - Modus des Verlangens (z.B. realisiert im Schreien
des Babys), - Modus der Aufforderung (Schreien, Pause mit
Erwartung einer Antwort der Mutter), - Modus des Austausches mit Rollentausch (Geben,
Nehmen, Spielen), - Modus der Ergänzung. Die Aktivität des Kindes ist
an einer gemeinsamen Aufgabe orientiert so hält
etwa die Mutter eine Schachtel hin, das Baby
füllt sie.
24Die aktive Sprachentwicklung
- Die Sprachentwicklung bis zum dritten Lebensjahr
lässt sich in vier Phasen einteilen (zu diesem
Zeitpunkt wird die Verständigungsfähigkeit in der
Muttersprache erreicht) - Die Lall- oder Plapperphase.
- Die Phase der Ein-Wort-Sätze.
- Die Phase der Mehr-Wort-Sätze.
- Die Bildung syntaktisch und morphologisch
komplexer Ausdrücke.
25Der perzeptuelle Ausgangspunkt der Lall- oder
Plapperphase
- Die sehr frühe Sprachwahrnehmung wurde in Eimas
(1985) experimentell untersucht, und wir wollen
als Ergänzung der phänomenologisch leichter
nachvollziehbaren Beobachtungen die Ergebnisse
dieser Studie und die dabei angewandten Methoden
näher betrachten. In einer ersten Serie von
Experimenten wurde geprüft, ob die Kleinkinder im
Alter von einem und von vier Monaten Unterschiede
zwischen Sprachlauten wahrnehmen. Die
Lautunterscheidung wurde indirekt durch
körperliche Reaktion auf neue Reize gemessen bei
Eimas u.a. (1971) durch die Nuckel-Rate, d.h. dem
Saugdruck auf einen Nuckel und dessen
Frequenzveränderung, bei Lasky u.a. (1975) an der
Erhöhung der Herzfrequenz und von Patricia Kuhl
(1983) durch die Kopfbewegung des Säuglings hin
zum Stimulus
26Unterscheidung zwischen stimmhaft (BAH) und
stimmlos (PAH) Die Stimmansatzzeit ist der
mess-Parameter der Stimmhaftigkeit.
Nichtlineare kategoriale Schwelle der
Lautwahrnehmung (vgl. Bild 3 in Eimas u.a.,
198579).
27Die Phase der Ein-Wort-Sätze
- Die einzelnen Phasen folgen nicht strikt
aufeinander, und es gibt keine festen
Altersstufen, die zwingend zu einer bestimmten
Entwicklungsstufe gehören. Die Untersuchungen von
Stern und Stern (1928) und Miller (1976) legen
einen durchschnittlichen Zeitraum zwischen 10
und 18 Jahren nahe. Miller (1976 132)
unterscheidet mit Bloom (1973) noch zwei
Subphasen in der ersten bildet das Kind im
Zusammenhang des Erwerbs senso-motorischer
Schemata einzelne Äußerungen, die quasi das
benützte Handlungsschema nur übersetzen oder
begleiten, in der zweiten fügt es eine Folge
mehrere Ein-Wort-Sätze zu einer zielgerichteten
Sequenz zusammen.
28- Die Tochter von Miller, Meike, sagt z.B. im Alter
von 17 zu ihrer Mutter - Mama (weint) M. Was denn?
- Mehr (quengelnd) M. Mehr?
- Auto (hält ein Spielzeugauto in der
Hand) M. Auto? - Auto (quengelnd, schaut zum Kühlschrank) M.
Ja, wir haben keine SchokoAutos mehr.
29Die Phase der Zwei-Wort-Sätze
- Der Übergang zwischen den beiden Phasen ist
natürlich fließend dabei spielen die
relationalen Wörter eine wichtige Rolle. Sie
erlauben die Realisierung grundlegender
semantischer Funktionen, die dann in der
Zwei-Wort-Äußerung als Pivot (Stamm), der durch
das relationale Wort besetzt ist, und Ergänzung
(z.B. ein Nomen) realisiert werden.
30Typische semantische Funktionen, die in dieser
Phase vorkommen
Vorhandensein / Nicht-Vorhandensein / Wieder-Vorhandensein
Handlungsträger und Handlung Objekt und Handlung
Besitzer und Besitz
Lokalisierung
Attribution
Grundlegende semantische Funktionen (vgl. Szagun,
1996 32).
31Die Phase der Mehrwortsätze und die frühe
Grammatikentwicklung
- Die Entwicklungen im Lexikon, in der Satzsemantik
und in der Syntax sind ab der Zwei-Wort-Phase eng
verbunden, so dass man den Spracherwerb
eigentlich nicht mehr nach der mittleren Länge
der Äußerungen in Wörtern bestimmen kann, sondern
von Grammatikentwicklung sprechen muss. - Clahsen (1988) schlägt in Anlehnung an Brown
(1983) fünf Phasen der Grammatikentwicklung (bis
ca. 35 Jahre) vor. In der Phase II der frühen
Zwei- und Mehrwort-Äußerungen verfügen die Kinder
bereits über die wichtigsten Wortarten. Als
nominale Elemente kommen Pronomen oder Nomen vor.
Nominalphrasen (NPn) können auch
Determinationselemente (Det) oder attributive
Adjektive enthalten. (ibidem 42)
32- Beispiele
- diese tuhl (Dieser Stuhl.)
- meine auto hoch (Mein Auto fährt hoch.)
- Es dominieren Inhaltswörter, während
Funktionswörter und Flexionselemente weitgehend
fehlen. - Beispiele (ibidem 43 f.)
- hase lieb (Der Hase ist lieb.)
- schinken aufgessen (Der Purzel hat den Schinken
aufgegessen.) - boden mitter (Auf dem Boden sind die Schnipsel.)
- Für das Verb wird die Endstellung bevorzugt.
33- Stufe I sie entsprecht der der Einwortsätze
(siehe oben) - Stufe II Sie entspricht derjenigen der Zwei- und
Mehrwortsätze. Es werden Inhaltswörter bevorzugt,
Funktionswörter fehlen weitgehend, nominale,
adverbiale und verschiedene verbale Elemente
treten auf. - Stufe III Es treten grammatische Funktionswörter
auf, zusammengesetzte Verben, eine weitgehend
korrekte Verb-Stellung und mit Adverbien
erweitere Satzstrukturen. - Stufe IV Die Verb-Zweit-Stellung im Hauptsatz
wird beherrscht, Personen- und Numerusformative
treten auf und die Kongruenz von Subjekt und Verb
wird gelernt. Relativ spät tritt die Endung -st
beim Vern (Kongruenz mit der zweiten Person
Singular auf (Beispiel du tust, du kommst usw). - Stufe V Mit 3 5 Jahren
34Fragen zum Spracherwerb
- Nennen Sie zwei Typen der Erklärung des
Spracherwerbs (-ismen). - Welche (zwei) Autoren verbinden Sie mit
Egozentrismus bzw. Interaktion? - Nennen Sie drei wichtige Phasen bei der
Entwicklung des Sprechens. - Geben Sie Beispiel für die Grammatik-entwicklung.
35Brown, R., 1973. A first language. The early stages, London.
Bruner, Jerome, 1971. Über kognitive Entwicklung, in Bruner J., R. Olver und P. Greenfield (Hg.), Studien zu kognitiven Entwicklung, Klett, Stuttgart. Bruner, Jerome , 1983. Child's Talk. Learning to Use Language, Oxford U.P., Oxford.
Bruner, Jerome, 1986. Actual Minds, Possible Worlds, Harvard U.P., Cambridge, Mass. Clahsen, Harald, 1988. Normale und gestörte Kindersprache. Linguistische Untersuchungen zum Erwerb von Syntax und Morphologie, Benjamins, Amsterdam
Eimas, P. D., 1985. The Equivalence of Cues in the Perception of Speech by Infants, in Infant Behavior and Development, 8 125-138.Hellbrügge
Klauser, Günter, 1975. Die vorgeburtliche Entwicklung der Sprache als anthropologisches Problem, Enke Verlag, Stuttgart.
Lenneberg, Eric H., 1972. Biologische Grundlagen der Sprache, Suhrkamp, Frankfurt/Main.
36Miller, George A., 1996. Wörter. Streifzüge durch die Psycholinguistik, Zweitausendeins, Frankfurt/Main.
Miller, Max, 1976. Zur Logik der frühkindlichen Sprachentwicklung. Empirische Untersuchungen und Theoriediskussion, Klett, Stuttgart.
Piaget, Jean, 1923/1972. Sprechen und Denken des Kindes, Schwann, Düsseldorf (frz. Original 1923).
Ramge, Hans, 1976. Spracherwerb und sprachliches Handeln, Schwann, Düsseldorf.
Slobin, Dan I., 1971. Crosslinguistic Evidence for the Language-Making Capacity, chapter 15, in Ders. (Hrsg.) The Ontogenesis of Language. A Theoreticak Symposium, Academic Press, New York.
Stern, Clara und William Stern, 1928. Die Kindersprache Eine psychologische und sprachtheoretische Untersuchung, 4. Auflage, Barth, Leipzig (reprint Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt, 1981).
Stern, William, 1930. Die Psychologie der frühen Kindheit (bes. Dritter Abschnitt Die Sprachentwicklung), 6. Auflage, Quelle und Meyer, Leipzig.
Szagun, Gisela, 1996. Sprachentwicklung beim Kind, Beltz, Psychologie Verlags Union, Weinheim.