Title: Was ist eine Weltanschauung?
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2Die Liebe bei Karl Jaspers im Kontext der
Weltanschauungen
3(No Transcript)
4Was ist eine Weltanschauung?
- Sie ist ein Ganzes zusammengefügt von subjetiver
Einstellung und objektives Weltbild das uns
bestimmt und zugleich orientiert in dem was für
wir fühlen, denken oder glauben - Weltanschauungen sind nebenher Gehäuse, wie
Jaspers selbst sagt, die wir brauchen als Schutz
in unserem Leben - Aber indem wir bloss innerhalb des Gehäuses uns
einleben, sind wir bloss von Allgemeinheiten
bestimmt, wie Sitte, Gesetz, Institutionen - Deshalb gibt zwei Möglichkeiten dass wir uns
bequem im Gehäuse arrangieren oder dass wir uns
öffnen für Gehäuse von anderen Menschen und
Kulturen - Das Erstere besagt einen Halt im Endlichen und
das Zweitere die Herausforderung eines Halt im
Unendlichen - Andererseits geht es bei Jaspers um eine innere
Betrachtung der Weltanschauung - Zwischen Einstellung und Weltbild das
Entscheidende ist die Einstellung - Sowohl die Einstellung als auch das Weltbild
haben als Grund die Subjekt-Objekt Beziehung - Subjekt-Objekt Beziehung und ihr
Wechselverhältnis - Fusion, Spaltung und Überwindung der
Subjekt-Objekt Beziehung - Gegenständliche Einstellungen - aktive und
kontemplative Einstellungen
5Weltanschauung und Subjekt-Objekt Beziehung
- Die Absicht der Psychologie der Weltanschauugen
(PdW), veröffentlicht in 1919. - Wie kann man eine Weltanschauung vom innen
verstehen? - Welche sind ihre Komponente?
- Dieses ist ein Vorhaben, dass anders ist als
derjenige von Wilhelm Dilthey, der, sozusagen,
die Weltanschauungen im Hinsicht auf ihre
geschichtliche Wirkung betrachtet. - Eine Weltanschauung ist von einer subjektiven
(die Einstellung) und einer objektiven (das
Weltbild) Seite bestimmt. Massgebend in diesem
Verhältnis sind die Einstellungen, weil gemäss
einer gewissen Einstellung die wir haben, z.B.
eine gegenständliche, aktive Einstellung,
schaffen wir uns an, sozusagen, ein
entsprechendes Weltbild, von einer,
beispeilsweise, sinnlich-räumlichen Art. Oder
wenn wir auch von einer gegenständlichen
Einstellung, bzw. einer kontemplativ-ästhetischen
Einstellung bestimmt sind, dann eignen wir uns
ein sinnlich-kulturelles oder sogar ein
metaphysisches Weltbild an. - Dadurch zeigt sich zugleich, dass die
Subjekt-Objekt Beziehung, nicht mehr von unserem
Denker in einem bloss kognitiven Rahmen
aufgefasst wird, sondern innerhalb eines
vielseitigen Spannungsverhältnisses.
6Verschiedene Einstellungen
- Die gegenständliche Einstellungen können
intuitiv, ästhetisch oder rational sein - Wie verhält sich in jedem Fall die Subjekt-Objekt
Beziehung? - Die selbstreflektierte Einstellungen. Warum sie
nicht subjetive Einstellungen genannt werden? - Askese, Genuss und Selbstgestaltung
7Die Askese Giotto, Der Heilige Franziskus
verzichtet auf alle irdischen Güter
8Jan Brueghel de Velours, Genuss
9Jan Brueghel, Genuss, Gehörsinn, Tastsinn
10Jan Brueghel, Gehörsinn
11Jan Brueghel, Genusssinn
12Jan Brueghel, Tastsinn
13Gegenständliche und selbstreflektierte
Einstellungen
- Wenn die Liebe einer Form der enthusiastischen
Einstellung (eE) angehört, müssen wir uns
zunächst davon bewusst werden, in welcher Art von
Einstellungen die eE einzuordnen ist. - Zunächst gibt es gegenstänliche (objektive) und
selbstreflektierte Einstellungen (und wir weisen
darauf hin, dass die Letzteren nicht subjetive
E genannt werden, sondern Jaspers möchte vor
allem betonen, dass es nicht darum geht, dass es
eine krasse Unterscheidung zwischen dem
Subjektiven und dem Objetiven gibt. Prinzipiell
sind wir der Welt zugewandt, also den
Gegenständen, aber diese Gewandtheit zur Welt hin
kann durch die Selbstreflektion vermittelt
werden, u.z. hauptsächlich durch eine
geniessende, eine asketische Einstellung oder
durch die Selbstgestaltung. Wobei hierin
hinzuzufügen ist, dass die Selbstgestaltung
determiniert wird durch unsere Beziehung mit der
Welt, mit Dingen und Personen, wie wir mit ihnen
umgehen, d.h. in Sinne des Genusses oder der
Askese.
14Das Objekt als Widerstand oder dass man es sein
lässt
- Abstand gegenüber dem Objekt bei den
selbstreflektierten Einstellungen - Wechselhafter Abstand vor dem Objekt
- Gegenständliche Einstellungen können aktiv,
kontemplativ oder mystisch sein - Aber, warum sind sowohl die aktive als auch die
kontemplative und die mystische Einstellungen
gegenständlich?
15Peter Brueghel Handeln kann sogar widersinnig
sein. Man baut weiter aber die Gründe des
Babelturm sind nicht mehr fest. Jaspers erinnert
an Goethes Wort Der Mensch handelt gewissenlos,
wobei der Denker interpretiert dies im Sinne von
unserer wesenhaften Endlichkeit
16Kontemplative Einstellung
17Mystische Einstellung, Bernini, Die heilige
Theresa
18Inwiefern können Genuss und Askese übereinstimmen?
- Dieses ist sehr interessant, weil es bedeutet
nämlich, dass wir von einem gewissen Abstand mit
Dingen und Personen zugleich bestimmt sind, und
nicht nur aufgrund der Askese, sondern zugleich
des Genusses. Jaspers behauptet nämlich dass die
geniessende Einstellung zugleich asketisch ist,
weil anders als die blosse Lust, im Genuss ein
Abstand dem geniessenden Gegenstand beheimatet
ist. - Also zunächst die Hauptunterscheidung ist
zwischen gegeständlicher und selbsreflektierter
Einstellung. Bezüglich der Ersteren die
gegenständliche Einstellung kann entweder aktiv,
kontemplativ oder mystisch sein. Der Politiker,
der Techniker, der Unternehmer, der Arbeiter
können von einer aktiven Einstellung bestimmt
werden. Es geht darum, den Gegenstand zu
verändern nach verschiedenen nachzuvollziehenden
Absichten. Dieser Gegenstand kann durch die
Mitbürger vertreten sein, wie für den Politiker,
oder die Umwelt, wie für den Unternehmer oder den
Arbeiter. - Bei der kontemplativen Einstellung ist es anders,
auch wenn sie zugleich eine gegenständliche
Einstellung ist. Das Hauptmerkmal ist hier
nämlich, dass sie den Gegenstand sein lässt. Es
geht hier darum, dass man die Welt und die andere
Mitmenschen sein lässt wie sie sind. Das
Schisalhafte spielt hier eine Rolle.
19Vita contemplativa u. activa
- Geschichtlich betrachtet, im 19. Jahrh. Übergang
von der Musse zur Handlung - Fichte und Marx Vorläufer des Übergangs
- Vita activa von Hannah Arendt arbeiten,
herstellen und handeln - Die Unterscheidung von Jaspers zwischen äusserer
und innerer Handlung - Die Frage nach der eigentlichen Handlung bei
Jaspers und Heidegger
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23Aus welcher Sicht kann man auch die
Weltgeschichte lesen?
- Dieses entspricht zugleich der milleranischen
Weltanschauung von unseren Urahnen, von der
Antike und dem Mittelalter es bezieht sich auf
die vita contemplativa, die von der Musse
ausgezeichnet wurde, sei es im Sinne der Kunst,
der Religion oder der Philosophie. - Später, innerhalb der Neuzeit, beginnt die grosse
Umwandlung, u.z. der Übergang von einer
kontemplativen Haltung oder Einstellung zu einer
aktiven Einstellung. Erste Züge davon treten
besonders im Denken von Gottlieb Fichte hervor,
besonders in seiner Bestimmung des Menschen
(1800) und dann auch sehr geschichtsprägend bei
Karl Marx. Gleichzeitig im XIX Jahrhundert findet
die industrielle Revolution statt. Und diese
geschichtlichen und philosophischen Hintergründe
bestimmen uns bis heutzutage, eben als aktive
Menschen. - Dieses ist zugleich ein grosses Thema, dass
besonders von Hannah Arendt in seiner Vita
activa aufgegriffen wurde. - Aber schon bei Jaspers, in seinem Hauptwerk
Philosophie (1931), kommt dieses Thema in
betonter Weise zum Ausdruck, u.z. im
Zussammenhang mit der Frage nach dem möglichen
Selbstsein und der damit bezogenen Frage nach
einer möglichen eigentlichen Handlung. In dieser
Beziehung macht Jaspers eine sehr tragende
Unterscheidung, nämlich zwischen einer inneren
und einer äusseren Handlung. Nur insofern die
Handlung sich lange in uns vorbereitet, und nicht
unmittelbar sich einfach veräusserlicht, besteht
die Möglichkeit von einer echten Handlung.
24Kontemplative und mystische Einstellungen
- Kontemplative Einstellungen können intuitiv,
ästhetisch oder rational sein - Intuitive Einstellung direktes Erfassen des
Wesens. Erretung der Anschauung - Ästhetische E. das Ganze in etwas
- Rationale E. die Abstraktion
- Und die mystische E. auch gegenständlich?
25Mystische Einstellung Auch gegenständlich?
- Die kontemplative Einstellungen können intuitiv,
ästhetisch oder rational sein. Die intuitive
Einstellung hat die Fähigkeit das Wesentliche vom
Gegenstand unmittelbar und unvermittelt
aufzugreifen. Die ästhetische Einstellung ist
dadurch ausgezeichnet, dass bei ihr eine
Umgestaltung stattfindet ein Ganzes offenbart
sich in einem Einzelnen (wie im Kunstwerk). Die
rationale Einstellung hat mit der Abstraktion zu
tun. Hier werden gewisse Charakeristika isoliert,
die ermöglichen, dass man manche Schlüssen daraus
zieht, wobei dies sehr stark mit den
Naturwissenschaften zu tun hat. - Merkwürdig ist, dass die mystische Einstellung
zugleich eine gegenständliche Einstellung ist.
Dieses kann man nur dann verstehen wenn anerkannt
wird, dass hier das Gegenständliche göttlich ist.
In dieser Hinsicht wäre hinzuzufügen, dass die
Auszeichnung des Seinlassens, die die
gegenständliche Einstellung charakterisiert, hier
am stärksten zum Vorschein kommt. Gott oder das
Göttliche muss man eben sein lassen und nur so
können wir damit in einer echten Art und Weise
umgehen.
26Mystik und Enthusiasmus
- Die höchste Möglichkeit der Überwindung der S-O
Beziehung liegt in der mystischen Einstellung
(mE) - Bei der eE das Objekt ist zugleich Subjekt und
zwischen beiden gibt es ein gleichberechtigtes
Verhältnis - Was für eine Rolle spielen hier Bewegung und
Ruhe? - Wie verhält sich Bewegung und Ruhe mit der Zeit?
27Enthusiastische Einstellung. Sufi Überwindung
der Subjekt-Objekt Spaltung durch Bewegung
28Sufi Ikone helfen uns auch
29Oder auch durch gewisse Mantras
30Oder durch Tai-Chi
31(No Transcript)
32Aber eigentlich das Unbewegliche, die völlige
Ruhe, ist ein sicherer Weg zur Überwindung der
S-O Spaltung, und darum geht es eben in der
mystischen Einstellung
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34Bewegung und Ruhe Fusion und Überwindung der S-O
Beziehung
- Und hier kommen wir zu dem Hauptunterschied
zwischen der mystischen und der enthusiastischen
Einstellung. Bei der mystischen Einstellung der
göttliche Gegenstand ist so bedeutend, dass wir
sozusagen aufgesaugt werden. Es ist die unio
mystica die dadurch erreicht wird, und wir
erleben das als eine vollkommene Befriedigung,
als Ruhe, Gelassenheit und Erfüllung. Besonders
gemäss östlichen Erfahrungen in diesem
Zusammenhang der Schlüssel ist hier nicht nur
eine vollkommene Gelassenheit und Ruhe, sondern
gleichzeitig die Unbeweglichkeit. Es ist
hervorzuheben, dass nur indem wir uns in einer
vollkommenen Ruhe und Unbeweglichkeit befinden,
die unio mystica erreichen können. - Im Gegenteil dazu die eE ist durch Unruhe, Drang,
Sehnsucht, Unbefriedigung gekennzeichnet. Hier
sind wir auch auf der Suche nach dem Einen, aber
der Weg dahin schliesst Bewegung ein.
35Bezüglich der Subjekt-Objekt Beziehung, entweder
Gleichberechtigung oder Überwindung Enthusiasmus
oder Mystik
- Aber damit sind wir doch zu der Unterscheidung
zwischen mystischer und enthusiastischer
Einstellung angelangt die Erstere bedeutet die
Möglichkeit die Subjekt-Objekt Spaltung zu
überwinden, während die enthusiastische
Einstellung in ihrem Rahmen verfangen verbleibt,
bzw. kann, aber nur zeitweilig die erwähnte
Spaltung überwinden. Anders ausgedrückt, und
gemäss der Terminologie von Jaspers, die
mystische Einstellung ist von der Transzendenz
bestimmt während die eE innerhalb einer Immanenz
verbleibt, bzw. sie ist immer unterwegs sie zu
transzendieren. Jaspers fügt hinzu, dass in der
eE ein Wechselverhältnis zwischen Subjekt und
Objekt stattfindet, da das Objekt wiederum hier
das gleichberechtigte andere Subjekt ist - so ist auch im Enthusiasmus bei aller
Subjekt-Objekt Spaltung doch zugleich eine
Einheit beider, ein Wechselverhältnis im
Erlebnis wird zugleich ein Objektives gefühlt,
und alles Objektive ist doch unzureichend und nur
da, sofern es vom Erlebnis und von der Kraft des
Subjekts übergriffen wird (PdW, 119).
36Die Einheit, ein Schlüssel der Philosophie, der
Theologie und der Mystik
- Bei Plotin Weg von der Einheit her und zu der
Einheit hin. Letzterer, der menschliche Weg - Dionysios Areopagita und die negative Theologie
- Was bedeutet die via negativa?
- Metaphysischer und Existentieller Sinn der via
negativa
37William Turnerdas Eine, das Unendliche
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39(No Transcript)
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42Streben nach der Einheit. Was hat das für eine
Bedeutung bei Plotin und in der negativen
Theologie?
- Wir widmen uns demnächst den verschiedenen
Merkmalen der eE, die Jaspers aufweist - 1.Enthusiasmus ist etwas einheitliches und
strebt zur Einheit (PdW, 119). - Wie wir wohl wissen, die Einheit, besonders im
Sinne des Einen, hat eine tragende Bedeutung in
der Philosophie, an erster Stelle, bei Plotin.
Und man kann wohl sagen, dass sowohl Plotin wie
Jaspers Züge der negativen Theologie tragen,
gegründet von Dionysios Areopagita im IV Jarh.
a.d. Hierin geht es darum, dass wir nur von Gott
sagen können was Er nicht ist deshalb eine via
negativa, ein Weg der Verneinung, und wenn wir
diesem folgen, sind wir zumindest näher an der
Gottheit, und nicht vollkommen abseits von ihr,
indem wir affirmative Aussagen über sie machen,
die bloss endlich sind. - In Bezug auf die Einheit, nach der die eE strebt,
sagt Jaspers - Ohne zureichend bestimmbaren Zweck (nicht ohne
erlebten Sinn) opfert sich der Mensch im
Enthusiasmus er begeht, nach gewohnten
Erwägungen beurteilt, sinnlose Handlungen.
Gegenüber dem Leben in der Ruhe traditioneller
Gewohnheiten, ohne die Gegensätze in der Welt zu
spüren, gegenüber dem Leben in der inneren
Unberührtheit bei allen öffentlichen Tun in den
begrenzten, relativen Sphären, wird das Leben in
der enthusiastischen Einstellung überall im
Tiefsten aufgewühlt und zugleich befestigt, in
Liebe und Hass, in Verbindung und Kampf, in
bedingugsloser Hingabe bewáhrt und gesteigert.
Gegenüber dem Leben, sei es ohne feste Substanz,
sei es ohne dass diese Substanz je berührt würde,
bedeutet die enthusiastische Einstellung erst ein
waches Leben, erst ein Leben im Ganzen und im
Wesen (PdW, 119).
43Wege zum Einen oder Gott, Plotin und
Pseudo-Dionysios
44Der Geist eingehaucht von der Existenz
- Gegenstand der eE als Idee?
- Idee und Geist
- Unterschied zwischen Existenz und Geist beim
späten Jaspers - Wie soll man eigentlich den Geist verstehen?
Verbindung zw. Geist und Idee - Ideen in der Kunst, der Philosophie, der
Wissenschaft
45In der PdW die Begriffe in statu nascendi
- Andererseits der Gegestand der eE lässt sich als
Idee (eben eine symbolhafte Idee) vorstellen, sei
es in Dichtung, Kunst, Philosophie,
Wissenschaft, Leben. - Es ist hervorzuheben, dass die PdW (1919) mit dem
Übergang von Jaspers von der Psychiatrie zur
Philosophie zusammenhängt. Wenn man
beispielsweise die PdW mit dem Hauptwerk
Philosophie (1931) vergleicht, können wir
deutlich erkennen, dass die entscheidenden
Begriffe des Jasperschen Denkens in der PdW sich
sozusagen in statu nascendi befinden. Dieses
erkennt man u.a. an der Rolle die die Ideen
haben. In Philosophie die Ideen befinden sich auf
der Ebene des Geistes, der wiederum Medium des
Selbstseins, der Existenz, ist, die sich
offenbaren können, wie vorhin gesagt wurde, als
Kunst, Philosophie, u.a. In dieser Hinsicht ist
es interessant, die PdW in dem Sinne
wahrzunehmen, inwiefern der Begriff der Existenz
sich hierin schon andeutet.
46Selbstreflektierte Einstellungen Genuss, Askese,
Selbstgestaltung dessen Bezug zum Selbstsein,
und die einhergehende Fragen nach dem möglichen
Selbstsein
- Wir müssen uns eine gewisse Klarheit darüber
verschaffen, dass es bei den eE (die Liebe
eingeschlossen) es auch um unser Selbstsein geht
in der PdW die selbsreflektierte Einstellungen
sind auf das Selbstsein angewiesen, da unter
ihnen auch die Selbstgestaltung zuzurechnen ist.
Dieses offenbart sich zunächst, wie wir oben
gesehen haben, in der Art und Weise wie wir
gemäss der Askese und des Genusses, mit de Welt
umgehen, und zweitens, im Sinne der
Selbstaufopferung. Unser Selbst möchte sich
bequem festlegen, bejahen, aber verirrt sich
öfters dabei, da es das nur aufgrund des
Gegebenen an ihm tut (als blosses Dasein). Nach
dem späteren Werk der Philosophie, die
Selbstaufopferung erweist sich eben als ein
Transzendieren der Bestimmungen und
Allgemeinheiten (wie Jaspers selbst sie nennt)
des Körperichs, des Rollenichs, des Leistungichs,
des Erinnerungichs, und sogar des Charakters (ein
sogenanntes Sosein).
47Die Abgeschiedenheit von Meister Eckhart
angewandt an uns selbst
- Hierbei wiederum zeigt sich eine gewisse
Annäherung mit der negativen Theologie nach
einem seiner Vertreter, u.z. Meister Eckhart,
geht es um die Abgeschiedenheit in seinen
Predigten und Traktaten Richte dein Augenmerk
auf dich selbst und wo du dich findest, lass ab
von dir. Das ist das Allerbeste. Nur durch die
Abgeschiedenheit, durch die loslösende Abkher
von Allem, können wir die unio mystica erreichen.
Und was Jaspers angeht, die Auffassung der
Selbstgestaltung, des Selbstseins und der damit
zusammenhängenden Selbstaufopferung
offensichtlich beinhaltet auch Einflüsse der
östlichen Philosophie. Östliche Meister und
Philosophen werden häufig zitiert auch an
entscheidenden Stellen schon in der PdW.
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49Selbstwerden, Selbsthingabe, Selbstaufopferung
- Schliesslich liegt die Selbstaufopferung sehr
nahe der folgenden Feststellung - 2.Enthusiasmus ist Selbstwerden in
Selbsthingabe (PdW, 120). - Zunächst sagt uns Jaspers
- Die Selbsthingabe, Aufopferung des Ich, ist so
vieldeutig wie das Selbst es ist - Diese Aufopferung kann vielerlei Gestalten
annehmen, aber prinzipiell schliesst Wagnis ein,
u.z. Wagnis oder Risiko sogar des Nichtseins.
Deshalb erkennt Jaspers diese Möglichkeit sogar
beim Duell an - Eine der Triebfedern des Duells in unserer Zeit
ist in dieser Gesinnung zu suchen, die in all
ihrer Primitivität doch etwas Wurzelhaftes ist,
ohne welches die sublimierten Formen des
gesitigen selbstbewussten Daseins in der Luft
schweben. Wer sein Leben bewusst wagt, erlebt
eine einzigartige Freiheit. Dieses Wagen der
Existenz gibt ein neues Bewusstsein des
eigentlichen Selbst, das etwa der Krieger, der
die Wahl hat, zu wagen oder sich zu drücken,
enthusiastisch ergreift (ib.). - Abgesehen vom Krieger, im Sinne der Aufopferung,
Jaspers spricht auch vom Selbstmord. In
Philosophie gesteht er dem Selbstmörder auch die
Möglichkeit, dass nicht nur ein Körperich oder
ein Leistungsich den Freitod begehen, sondern
sogar dem Selbstsein. Jedenfalls was den
Selbstmörder kennzeichnet ist die Verzweiflung.
Vergewissern wir uns, dass Jaspers den Entschluss
gefasst hatte, Selbstmord mit seiner Frau Gertrud
zu begehen im Falle, dass sie von der SS in
Heidelberg gefangengenommen würden.
50Jan van Chelminski, Duell an einem Wintermorgen
51Im Falle von Werther Wer begeht Selbstmord? Ein
Körperich, ein Rollenich, ein Leistungsich, ein
Erinnerungsich, ein Sosein oder ein Ich
selbst? Zuletzt, gemäss Jaspers, Schweigen und
Respekt
52Rumi und Buddha
- Die Aufopferung betrifft auch den Pflichtmensch
der sich eben für etwas formales aufopfert
wie Jaspers sagt. Doch die Aufopferung des Ich
ist besonders für den Heiligen stichhaltig. - Die Verse des Dschelaleddin Rumi, die Jaspers von
einem Zitat von Hegel nimmt, drücken in
prägnanter Form die Ichaufopferung - Es schauert Leben vor dem Tod.
- So schauert vor der Lieb ein Herz.
- Als ob es sei vom Tod bedroht.
- Denn wo die Liebe erwachet, stirbt
- Das Ich, der dunkle Despot (PdW, 121).
- Die Aufopferung rechtfertigt sich nach Jaspers,
insofern die von ihr einhergehende Verneinung,
und damit auch ein Nichtsein der auf sich
genommen wird, bloss Übergang zum Sein und zum
Leben ist. Diesbezügluch zitiert er Buddha, und
sagt - Charakteristisch hält Buddha, dem das
Gegenüberstehen gegenüber dem Nichts nur eine zu
überwindende Stufe auf dem Wege zum Nirvana ist,
diesen Drang zum Nichts, zum Nichtsein, für
blosse Begierde zum Leben mit umgekehrten
Vorzeichen und für etwas ihm ganz Fremdes (ib.).
53Rumi und Buddha
547 Empfehlungen des Rumi (islamisch persischer
Mystiker des 13. Jahrh.)
- Sei wie ein Fluss bei taetiger Freigiebigkeit
und Hilfe.Sei wie die Sonne im Verbreiten von
Erbarmen und Guete.Sei wie die Nacht im
Verdecken der Fehler von anderen.Sei wie ein
Toter hinsichtlich Fanatismus und Harschem.Sei
wie der Erdboden in Bescheidenheit und
Genuegsamkeit.Sei wie das Meer in
Geduldsamkeit.Zeig dich entweder so, wie du bist
oder sei so, wie du dich zeigst.
55Sogar die Gottheit kann uns in besonderer Weise
Gegenstand des Enthusiasmus sein
- 3.Der Gegenstand ist dem Enthusiasmus auf
spezifische Weise gegeben (ib.). - Die Bewegung des Enthusiasmus äussert sich als
Streben - es ist eine Bewegung, die Erhebung, Aufschwung
genannt wird, eine Bewegung nach oben (PdW,
122). - Wie wir schon im voraus sagten, die eE trägt das
Merkmal des Absoluten, der Einheit, des Ganzen,
des Wesen in sich. Aber was sich im Enthusiasmus
offenbart ist immer ein Endliches, oder besser
formuliert es offenbart sich das Unendliche im
Endlichen. Der Gegenstand der eE kann auch Gott
sein - Der Gegenstand wird in Gott gesehen, nicht
vereinzelt. Es wird nicht als Endliches, sondern
als eingebettet in das Unendliche ergriffen
(ib.). - Und da dieser Gegenstand, das Absolute selbst,
nicht erklärt werden kan, erkennt Jaspers dass
die, übrigens Kantsche, Auffassung des als ob
dem entspricht.
56Enthusiasmus muss Wirklichkeitsbezogen sein,
sonst wird er unecht
- 4.Enthusiasmus und Realität (ib.).
- Wenn Enthusiasmus keinen Bezug zur Realität
findet, wird es zu etwas Illusorisches, zum
Rausch, zur Schwärmerei (dieses wird deshalb als
unechter Enthusiasmus beschrieben). Während der
echte Enthusiasmus hingegen mutmasslich eine
direkte und fruchtbare Verbindung mit der
Realität hat - Der überall eine Enthusiasmus erscheint in
vielen Arten je nach dem konkreten Stoff, in dem
er die ideenhafte Durchdringung erreicht. Solche
Typen sind der Enthusiasmus in der
metaphysischen Beseelheit der aktiven
Einstellung, im Kampf in der Geschlechterliebe,
in der wissenschaftlchen Arbeit, im
künstlerischen Schaffen, in der
Persönlichkeitsgestaltung, usw. (PdW, 123).
57Enthusiasmus, Heldentum, und der Held als Held
des Augenblicks
- Hervorzuheben ist zugleich dass der Enthusiamus
mit dem Heroismus, dem Heldentum verknüpft ist. - Überall wo der Enthusiasmus das schlechthin
leitende Moment bildet, also wo in der Realität
und für die Realität gelebt und doch alles gewagt
wird, spricht man wohl von Heroismus von
heroischer Liebe, heroischem Kampf, heroischer
Arbeit usw. (ib.). - In diesem Zusammenhang muss man sich entsinnen,
dass Jaspers, auf den Spuren von Kiekegaard, der
Held als Held des Augenblicks versteht. Das
heisst, der Held ist eben derjenige der alles auf
Spiel, sogar sein eigenes Leben, in einem
Augenblick setzt. Jaspers sieht hierin auch eine
Möglichkeit des sich verewigenden Augenblicks,
die vor allem dem Selbstsein innewohnt.
58(No Transcript)
59Metaphysische Auffassung der Liebe
- Und so kommen wir auf die fünfte Kennzeichnung
der eE, u.z. die Liebe. Es fällt auf, dass im
Text auf die übrigen Kennzeichnungen ungefähr
eine Seite gewidmet wird, auf die Liebe aber sind
es dreizehn. - 5.Die enthusiastische Einstellung ist Liebe
(PdW, 123). - Als Erstes müssen wir unterstreichen, dass all
die Kennzeichnungen als eine Art Tautologien zu
verstehen sind. Mit anderen Worten, sie haben
nicht einfach den Status von etwa Qualitäten,
Attributen, Charakteristika der eE, sondern
entsprechen seinem Wesen u.z. als Einheit,
Selbsthingabe, Streben, u.a. und jetzt nun
Liebe. Wir können dann nicht nur sagen die eE
ist Liebe, sondern die eE als Liebe, d.h., dass
wir sie in dieser ihr innewohnenden Bestimmung
betrachten. - Gerade deshalb wiederholen sich viele der
Kennzeichungen der eE im Sinne der Liebe,
beispielsweise die Erste - Die Liebe ist etwas Universales (PdW, 123),
- und Jaspers fügt hinzu
- es ist eine Bewegung in uns durch alles
Konkrete hindurch /.../ in das Absolute und das
Ganze (PdW, 123). - Diese Auffassung der Liebe bei Jaspers schliesst
in sich mystische Züge ein ähnlich wie bei
Dante, nach welchem die Liebe die Sterne bewegt,
bei Jaspers durchdringt die Liebe als Bewegung
alles und jeder hat die Möglichkeit sozusagen in
diesen Strom der Bewegung hineinzuspringen und
sich von ihm treiben zu lassen.
60Liebe und Licht
- Gleichsam hat die Liebe mit dem Licht zu tun.
Durch ihre Wirkung leuchtet alles auf. Nicht nur
die Geliebte steht unter einem gewissen Schimmer,
sondern auch unsere Umgebung, die Anderen, die
Welt insgesamt. - Die Liebe ist andererseits den Trieben
entgegengesetz. Mit den Trieben teilt sie mit,
dass sie Bewegung und Streben ist, doch sie ist
ihnen entgegengesetz, weil sie versucht sie zu
erheben, dass sie nicht mehr bloss materiell
bestimmt werden. - /Die Liebe/ ist allen Trieben entgegengesetzt,
insofern sie allein über das Individuum
erlebnismässig hinausgeht, nicht egozentrisch,
nicht altruistisch, überhaupt nichts Einzelnes
ist, keinen bestimmten Bereich empirischer
Gegenstände oder ichbestimmte Funktionen hat
(PsW, 123).
61Goethe an Frau von Stein
- Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
- Uns einander in das Herz zu sehen,
- Um durch all die seltenen Gewühle
- Unser wahr Verhältnis auszuspähen?
- ...
- Sag, was will das Schicksal uns bereiten?
- Sag, wie band es uns so rein genau?
- Ach, du warst in abgelebten Zeiten
- Meine Schwester oder meine Frau.
- Kanntest jeden Zug in meinem Wesen.
- Spähtest, wie die reinste Nerve klingt,
- Könntest mit einem Blick lesen,
- Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt.
62Charlotte von Stein
63Spannungsverhältnis zwischen Sexualität, Erotik
und Liebe
- Es geht darum, dass die Liebe die Triebe formt
bzw. gestaltet. Dieses betrifft zugleich was die
Sexualität und die Erotik angeht. Wenn diese sich
isolieren, dann werden sie unecht und die
Sexualität entwürdigt sich bloss als Funktion.
Die Erotik, seinerseits, verweist vor allem, nach
Jaspers, auf ein Erwecken von Illusionen und
phantasmata durch Bewegungen, Wörter, Gestik,
usw. Diese Auffassung der Erotik ist mit
derjenigen von Octavio Paz zu vergleichen, u.z.
in dem Buch Die doppelte Flamme Erotik als
Ritualizierung der Sexualität. - Wenn schon die Erotik die Sexualität teilweise
gestaltet, die höchste Gestaltung kommt von der
Liebe, die Jaspers ausdrücklich metaphysische
Liebe benennt. Nur so werden der Sexualität und
der Erotik eine Richtung zum Absoluten und
Unendlichen auferteilt. - Bemächtigt sich aber die Liebe der Erotik, so
bekommt das Erotische eine Weihe, und wird selbst
eine Ursache zur höchsten Intensivierung der
Bewegung der Liebe (PdW, 131).
64Modigliani (Sexualität?) und Klimt (Erotik?)
65Fliessendes Verhältnis zwischen Sexualität und
Erotik. Rodin
66Blinde Liebe und Illussion und dieses bezogen auf
Stendhal
- Jaspers steht somit einleuchtend in der grossen
platonischen Tradition der Philosophie der Liebe.
- Vergegenwärtigen wir uns, dass, gemäss dem
platonischen Symposion, Eros drei Stadien in
seinem Leben durchläuft, u.z. jedesmal als
Begehren in der Schönheit zu erzeugen, zunächst
in den Körpern, dann in den Seelen (was auf die
paideia, die Bildung hinweist) und zuletzt in der
Schönheit selbst, d.h. in der Idee der Schönheit
und nicht mehr in jeglichen Erscheinungen der
Liebe. - Die Deutung der Erotik als illusionshaft greift
nach Jaspers direkt auf Stendhal, Marie-Henri
Beyle, zurück, u.z. in kritischer Weise, wie es
auch der spanische Philosoph, José Ortega y
Gasset in seinem Buch Studien zur Liebe (1939)
tut. Ähnlich wie bei Ortega y Gasset, die
Auffassung der Liebe als ein Phänomen der
Kristallisation, wird von Jaspers radikal
umdeutet in sein Gegenteil, da es angeblich keine
Liebe ist. Nach Stendhal deutet die Liebe darauf
hin, gemäss seinem Buch Von der Liebe (1822),
dass sie mit dem physischen Phänomen der
Kristallisation verwandt ist beispielsweise die
Kristallisation eines einfachen Paares von
Baumästen die metaphorisch auf ein
Menschenliebespaar anspielen. Nach einiger Zeit,
meint Stendhal, wie in den Salzminen von
Salzburg, jene Äste glänzen,die von Kristallen an
der Rinde haften sowie auch bei einen Liebespaar
das sich nach kurzer Zeit einer für den Anderen
alles ist.
67(No Transcript)
68Stendhal und Ortega y Gasset
69Kritik von Jaspers an Stendhal
- Und die Jaspersche Kritik darauf
- Was Stendhal in der Liebe die Kristallisation
nennt, das Umkleiden der Geliebten mit allen
Werten, ist, sofern damit nicht jener Lichtstrahl
vom Absoluten her gemeint ist, illusionär. Es ist
keine Liebe, sondern der einseitige Prozess der
Wertanhäufung, der eines Tages mit dem
Zusammenbruchs dieses Kartenhauses endet (Pdw,
129). - Und weiter unten
- Wer liebend sich so illusionär angesehen fühlt,
fühlt sich selbst nicht geliebt. Die illusionäre
Umkleidung ist ein Feind der Liebe (ib.). - Damit kommt auch schon die angebliche Blindheit
der Liebe im Spiel. Wenn, nach Stendhal, doch
diese imaginäre Umkleidung von dem Anderen
stattfindet, kommt damit auch nicht nur die
angesprochene Blindheit, sondern auch ein
erahnter Morbus zum Vorschein. Und noch dazu Das
Morbide geht auch, nach Stendhal, mit der Liebe
einher, oder besser, negativ ausgedrückt das
Krankhafte, bzw. das Psychopatologische ist nicht
von der Liebe vollkommen auszuschliessen.
Immerhin, nach Jaspers aber, diese krankhafte
Erscheinungen sollte man eigentlich von der
echten Liebe ganz und gar trennen sie würden,
wenn überhaupt, unter der unechten Liebe
fallen. Die Liebe ist eben nicht blind Diese
Blindheit entspringt aus Bedürfnis, aus Trieben
endlicher Art (ib.).
70Die Liebe ist hellsichtig und durch diese
Hellsichtigkeit wird das Geliebte wertvoller
- Für Jaspers ist eben die Liebe hellsichtig.
Dieses steht gleichzeitig im Einklang mit einer
werthaften Bestimmung der Liebe. Demgemäss bietet
Jaspers uns eine unausgesprochene grundlegende
axiologische Lehre an, die uns zu einer
genealogischen Frage nach den Werten führt (etwa
wie Nietzsche dieses in seiner Genealogie der
Moral aufgegriffen hat). Woher kommen die Werte?
Diese ist die grosse Frage der Axiologie, die
auch die Frage nach dem Wesen des Wertes
einschliesst. Gibt es Werte weil wir werten (wie
es bei Nietzsche ist) oder das Werten findet
statt aufgrund vorgegebener Werte (wie es bei
Platon ist). In diesem Kontext Jaspers führt eine
neue These auf, im Hinblick auf die Liebe - In der Liebe leuchtet alles auf, so dass es für
den Liebenden der Wert überhaupt wird. Es sind
nicht Werte, die entdeckt würden in der Liebe,
sondern in der Bewegung der Liebe wird alles
wertvoller. Es wird ein Prozess der Werterhöhung
erlebt. Das Wertvolle ist absolut konkret, nicht
allgemein (PdW, 124). - Man könnte meinen, dass gerade durch die
Hellsichtigkeit wir uns verblenden lassen können
(und so kämen wir zurück zur Stendhals
Kristallisation), aber die erwähnte Hellsicht ist
zugleich wirklichkeitsbezogen. Wenn die Liebe
echt ist, lieben wir den Anderen sowie er (bzw.
Sie) ist, auch in seinen Fehlern, in seinem
Mangel, in seinen Lücken - Man liebt den Menschen mit seinen Fehlern, in
seiner Wirklichkeit, die im Absoluten liegend
gesehen und als Prozess im Kampfe liebenden
Verstehens erfahren wird.
71Liebe anders als das bloss Empirische. Durch die
Liebe konstituiert sich das Individuum
- D.h. da die echte Liebe vom Absoluten, von der
Unendlichkeit berührt ist, erhält sie keine
Richtlinie von etwas Endlichen, Empirischen. Das
Maassgebende ist immer das Unendliche im
Endlichen, aber nicht das Endliche als ein
solches. - Und so kommen wir meiner Ansicht nach zu
einer der wesentlichsten und tragendsten
Bestimmungen der Liebe. Nur duch sie konstituiert
sich das Individuum als solches. - Das Geliebte ist immer Individuum. Individuum
ist ein anderer Ausdruck für das absolut
Konkrete. Die logische Kategorie des Individuums
wird nur in der Bewegung der Liebe erfüllt (PdW,
124). - Aber nicht nur die Geliebte wird als Individuum
konstituiert, sondern man darf hinzufügen auch
der Liebende, wobei dies ein sehr entscheidender
Punkt ist. - Insofern ich liebe, und dies gerade nach der
Liebesauffassung von Jaspers, entdecke ich an mir
diese höchste Möglichkeit und konstituiere mich
als Indivuum, als ein Einzelner. Aber auch indem
ich selbst der Geliebte bin, werde ich als
Individuum konstituiert. Nach den Worten des
Philosophen Wo Liebe Gegenliebe wachruft. - Die Philosophie der Liebe bei Roland Barthes
(Fragmente einer Sprache der Liebe, 1977) und bei
Eugenio Trías (Abhandlung über die Leidenschaft,
1978) entwickelt sich auch in der Richtung einer
erotischen (im breiten Sinn) Konstitution des
Individuums durch die Liebe. Im Falle von Trías
erfüllt sich diese Konstitution besonders durch
die Leidenschaft. Weil die Letztere auf Leiden,
pathos, verweist, verbindet dieses Trías zugleich
mit einer Wunde. Durch diese blutende Wunde
werden wir einzelne Individuen.
72Roland Barthes und Eugenio Trías
73Kierkegaard, der Vorläufer, und Jaspers der
Gründer der Existenzphilosophie
- Dieses ist zutiefst zu Bedenken die
ausschliessliche Konstitution des Individuums
durch die Liebe. Bei den meisten menschlichen
Beziehungen der Mitmensch wird nicht als ein
solches, in seiner unwiederholbaren
Individualität, angesehen. - Sonst immer gleichgültig ist das Individuum nur
für den Liebenden als Individuum und für alle
anderen nur als zufällige Einzelheit, als ein
Individuum unter vielen. Für den Erkennenden ist
es Fall, für den Handelnden Mittel, für den
Historiker wertbezogen und konstruiert, für den
Logiker endlos und darum unfassbar (ib.). - In der Geschichte der Philosophie ist das Denken
von Kierkegaard besonders dadurch ausgezeichnet,
dass er eigentlich der Schöpfer des Einzelnen,
des Individuums ist. Im Vergleich mit vorigen
anthropologischen Auffassungen, dank des
dänischen Philosophen, der Mensch wendet sich
jetzt nach innen und wird in seiner
unwiederholbaren und ausschliesslichen Einzelheit
entdeckt. Jaspers steht nicht nur unter dem
Einfluss von dieser philosophischen Wende,
sondern auch (und nochmals dank Kierkegaard)
unter dem Einfluss der Bedeutung der Existenz als
Seinkönnen und Möglichsein. Bezüglich des
Letzteren Kierkergaard hat Wesentliches dazu
beigetragen. - Was durch diese Begriffe entstand ist zuletzt die
Existenzphilosophie, wobei die Tragweite der
Letzteren so zu betrachten ist, dass sie nicht
einfach einer philosophischen Richtung
entspricht, sondern in dem Sinne, dass die
Philosophiegeschichte selbst hauptsächlich
durch die Existenzphilophie und damit auch durch
ihren Vorläufer (Kierkegaard) und Gründer
(Jaspers) die besprochene Umkehrung vollzog.
74Jaspers der Denker der Situationen und der
Grenzsituationen
- Im Vorigen kam beiläufig ein verstehender
liebender Kampf zu Wort. Damit kommen wir zu
einer entscheidenden Auszeichnung der Liebe bei
Jaspers. Er ist nicht nur der Denker des Seins
als des Umgreifenden, der Seinschiffren, sondern
auch der Denker der Grundsituationen. Unabhängig
von dem Unterschied in der Klassifizierung dieser
Grenzsituationen die in seinem Werk aufzuzeichen
ist, sie sind letztendlich vier Kampf, Leiden,
Schuld, Tod. Zunächst ist hervorzuheben, dass
Jaspers auch der Denker der Situationen ist, u.z.
dass der Mensch sich immer in beliebigen
Situationen befindet die ihm bestimmen, aber im
Allgemeinen sind sie bedingt und zufällig.
Demgegenüber gibt es Grenzsituationen, wie die
Erwähnten von der wir nicht herauskommen und die
wir einfach übernehmen müssen, weil sie vor allem
unbedingt sind dass wir kämpfen, leiden, sterben
müssen, und auch dass wir schuldig sind.
75Und Jaspers ist auch der Denker der wesenhaften
Schuld
- Jaspers spricht von der wesenhaften Schuld und
unterscheidet sie von bestimmten Schulden die wir
begehen können. Wir sind wesentlich schuldig weil
wir endlich sind. Diesbezüglich zitiert Jaspers
Goethes Wort Der Mensch handelt gewissenlos
und er interpretiert dieses in dem Sinne, dass
(aufgrund unserer Endlichkeit) wir nicht von der
Ganzheit der Motiven oder von der Ganzheit der
Folgen unserer Entscheidungen wissen können. Also
wir sind und bleiben immer schuldig, im Sinne der
wesenhaften Schuld. Übrigens, in dieser
Auffassung erkennt man, u.a., wieviel Heidegger
vom Denken Jaspers beeinflusst wurde, was er
selbst nicht anerkennt. - Fügen wir noch hinzu dass, gemäss dem Oldenburger
Philosophen, die Welt immer im Trümmern liegt,
u.z. weil es das Böse gibt, das sich als Krieg,
Gewalt oder Hungersnot äussert. Auch vor diesem
Hintergrund sind wir schuldig. Dementsprechend
auch das angebliche gute Gewissen hat bei
Jaspers keine Rechtfertigung. - In dem wir sind, befinden wir uns also im Kampf.
Dieser Kampf vollzieht sich vordergründig als
Daseinskampf. Hier wird hart gekämpft und das
grosse Beispiel dafür ist offensichtlich die
Geschichte der Menschheit und unser Alltag. Es
geht hier, nach Jaspers, um Auslese und
Gewinnung, um Erhaltung oder Begrenzung Anderer,
um Kampf, um Ausbreitung des eigenen Daseins.
76Liebendes Verstehen und liebender Kampf
- Aber es gibt, auf der Ebene der Existenz, die
Möglichkeit eines liebenden Kampfes. Als
allererstes geht es hier um Selbstwerden und
wiederum um ein liebendes Verstehen. Beides
kennzeichnet nebenher die Bedeutung de
Kommunikation. Jaspers ist ja auch der Denker der
Kommunikation. - Zwischen Menschen ist Liebe zugleich das, was
vieldeutig das vollkommene Verstehen heisst. An
der Erfahrung ist kein Zweifel. Es ist, als ob
ein Weg zur absoluten individuellen Substanz
gefunden sei, aber nicht zu ihr als zu einer
absoluten Monade, sondern eingebettet in das
Absolute überhaupt (PdW, 124). - Und von diesem Verstehen fügt Jaspers hinzu
- Zwischen Menschen in der Zeit manifestiert es
sich als ein liebendes Kämpfen der Seelen
miteinander. Jede Gefahr wird gewagt, keine
Grenze der Form, der Gewohnheit, der Rechte, der
Grundsätze ist für immer respektiert, jede
Distanz, so sehr jedes menschliche Leben
miteinander überall Distanzen errichtet und
fordert, wird irgendwahn aufgehoben (PdW, 125).