Title: Rahmenbedingungen der Sozialwirtschaft
1Rahmenbedingungen der Sozialwirtschaft
- Nikolaus Dimmel (Salzburg)
2Soziale Dienste - Standortbestimmung
- Sozialwirtschaftliche Unternehmen erbringen
Sozialdienstleistungen im Dritten Sektor
zwischen Staat (außerhalb der öffentlichen
Verwaltung) und Markt - Rechtsform ca 6.300, Vereine, ca 300 (g)GmbHs,
ca 20 Genossenschaften - Marktgesetze der Preisbildung über Angebot und
Nachfrage gelten nicht - Wohlfahrtsdreieck (Staat, KlientInnen,
Leistungserbringer) - Unschlüssige Tauschbeziehungen
- Inanspruchnahme mobiler Dienstleistungen
(Hauskrankenpflege, Heimhilfe, Familienhilfe,
Essen auf Rädern, Besuchsdienst oder
Beratungsdienste) 2000-2008 30 von 10,6 Mio.
auf 13,7 Mio h/ 130.000 KlientInnen - Zentrale Entwicklungsfaktoren
- Demographie Herausforderungen der Altenpflege
- Strukturwandel der Familie
- Strukturelle Arbeitslosigkeit (Bildungsdefizite)
- Prekarisierungsprozesse Zunahme des abgehängten
Prekariates (Klaus Dörre/Robert Castel)
soziale Desorganisation
3Ökonomischer Stellenwert der Sozialwirtschaft
- Ca 6.600 Unternehmen (Verein, GmbH, Gen.) in
Österreich - 8,8 aller Unselbständigen (331.000) insgesamt im
Sozial-, Gesundheits- und Veterinärwesen davon
ca 140.000 Beschäftigte (4) im Sozialbereich
(stationäre, mobile, ambulante Dienste
Kindestagesbetreuung) statistische Lücken - Eigenwirtschafts-Volumen Sozialwirtschaft 3,9
Mrd (inkl. Spenden u Eigenleist.) davon 2,1 Mrd
über Leistungsverträge Subventionen - Bruttoproduktionswert (Gesamtumsatz) der
NPO-Wirtschaft 6,3 Mrd, unter Einbeziehung
der Ehrenamtlichkeit ca 11 Mrd die
Wertschöpfung der NPOs zum Bruttonationalprodukt,
liegt bei 4,2 Milliarden, unter Einbeziehung
der Ehrenamtlichkeit bei ca. 7,4 Mrd (Heitzmann
2001) - Beschäftigungswirkungen von Investitionen im
Sozialbereich doppelt so hoch wie im Bauwesen - Produktionsmultiplikator 1 Mio Nachfrage 1,7
Produktionswert - 1 Mio Investition schafft 17 Arbeitsplätze ( Bau
10,7 Arbeitsplätze) - Bruttowertschöpfung 1991-2006 beinahe doppelt so
hoch wie das gesamte BIP)
4Sozialwirtschaft und Sozialquote 2010
- Sozialquote 2008-2010 von 28,4 auf 30,4
(antizyklische Wirkung) - Armutsquote nach SILC 2008-2010 12,4 lt 12,1
(statistisches Artefakt) - Leistungen nach Funktionen 2010 (84,5 Mrd )
- Alter 36,3 Mrd 43 d Sozialleistungen (1980
32, 1990 37, 2000 40). - Krankheit 21,3 Mrd 25 d Sozialleistungen
(1980 29, 1990 und 2000 26) - Familien/Kinder 10 8,8 Mrd
- Invalidiät/Gebrechen 8 6,4 Mrd
- Hinterbliebene 7 5,6 Mrd
- Arbeitslosigkeit 6 4,8 Mrd
- Wohnen und soziale Ausgrenzung 1 1,3 Mrd
5Sozialausgaben 2010
- 70 Geldleistungen
- Vor allem Alters-, Invaliditäts- und
Hinterbliebenenleistungen, Pflegegeld, aber auch
als Familien- und Arbeitslosentransfers - Relevant vor allem 1,86 Mrd Pflegegeld 2010
- 30 Sachleistungen
- Vor allem ambulante und stationäre
Gesundheitsversorgungsleistungen - Maßnahmen d AMS 1990-2010 304 Mio -gt 1,9 Mrd
- Bedeutsamste Sach-/Dienstleistungen
Länder/Gemeinden 1990-2010 - Kindergärten 297 Mio -gt 1,6 Mrd
- Soziale Dienste f Senioren 123 Mio -gt 1,4 Mrd
- Behindertenhilfe 200 Mio -gt 1,2 Mrd
- Soziale Dienste SH / Ausgrenzung 274 Mio -gt 737
Mio - Behindertenmilliarde 27 Mio -gt 192 Mio
- Bewährungshilfe, Besachwaltung etc 15 Mio -gt 63
Mio
6Europäischer Kontext
- Dienstleistungsrichtlinie 2006
Crossboarder-Services Transnationaler
Wettbewerb zwischen Trägern/Anbietern Sozialer
Dienste - Für jede wirtschaftliche Dienstleistung, die auf
einem Markt angeboten und gegen Entgelt erbracht
wird, gilt Dienstleistungsfreiheit und
Wettbewerb auch Sozialdienstleistungen sind
wirtschaftlich. - Ausgenommen vom Prinzip des Freien
Dienstleistungsverkehrs sind nicht-wirtschaftliche
Dienstleistungen von allgemeinem
Interesse(Charity, Obdachlosen-Ausspeisungen,
kirchliche Zuwendungen) - Explizite Ausnahme vom Anwendungsbereich Artikel
2 Abs. 2 lit j soziale Dienstleistungen im
Zusammenhang mit Sozialwohnungen, Kinderbetreuung
und der Unterstützung von Familien und dauerhaft
oder vorübergehend hilfsbedürftigen Personen,
wenn (!) selbige vom Staat, staatlich
beauftragten Dienstleistungserbringern oder durch
gemeinnützig anerkannte Einrichtungen erbracht
werden. - Vergaberegime (erweiterte Umsetzung im
ö.VergabeG) - Wettbewerbs- und Beihilfenregime gelangt zur
Anwendung
7Das Europäische Gewicht der Sozialwirtschaft
- Sozialwirtschaft in den Mitgliedstaaten d EU
unterschiedlich ausgestaltet - zB Schweden Sozialdienstleistungen als
öffentlicher Dienst - zB Italien Economia Sociale -gt
Genossenschaften - Sozialwirtschaft 10 aller Unternehmen id EU
ca 2 Mio (vor allem KMU) - 11 Mio Beschäftigte (6,3)
- 5 Mio Ehrenamtliche/Freiwillige
- 64 der Beschäftigten bei Vereinen, 33 bei
Genossenschaften, 3 bei Gesellschaften auf
Gegenseitigkeit - 4 des BIP id EU werden alleine in Vereinen
erwirtschaftet ( zB Recycling)
8Sozialmärkte Vermarktlichung d Sozialen
- Vermarktlichung Sozialmarkt mit Kunden
(statt KlientInnen) als Ausdruck neoliberalen
Sozialstaatsumbaues soll sozialwirtschaftliche
Unternehmen zwingen, sich der Nachfrage
anzupassen - Ökonomisierung erbracht wird, was verrechnet
werden (Creaming-Effekte) - Ausscheidung kooperationsunwilliger KlientInnen
- Doppelmandat Aufgabe des sozialarbeiterischen
Doppelmandates stattdessen Sozialwirtschaft in
der Rolle des Erfüllungsgehilfen der
Sozialverwaltung - MONOPSON-Struktur (viele Anbieter, ein Nachfrager
zB FSW) - Kontrapunkt IFS - Vorarlberg
- Kundenideologie Take-Off Pflegegeld 1993 als
Konzept persönlicher Budgets (Ideologem
Sozialmarkt ist besser als Sozialstaat) Klienten
als souvräne Kunden - Folgen der Vermarktlichung und
Verbetriebswirtschaftlichung von SPO - seit Beginn 1990er Jahre sukzessiver Übergang zu
Leistungsverträgen ohne Kostendeckung zwingt zu
steigender Eigenleistung und Erhöhung des
Rentabilitätsdrucks im Unternehmen - Differenzierung zwischen guter und schlechter
Sozialarbeit - 2006-2010 strategischer Übergang von der Objekt-
zur Subjektförderung - Erosion der Planungssicherheit in
sozialwirtschaftlichen Unternehmen - Anhebung von Eigenleistungen mit
unbeabsichtigen Nebenfolgen - Verdrängungseffekte
- Rückgang der Nachfrage mangels nachfragefähiger
Einkommen
9Trägerstruktur in Österreich
- Oligopolistische Struktur in Österreich Big
Player (Caritas, Diakonie, Volkshilfe,
Hilfswerk, Rotes Kreuz enge Verflechtung dem
politischen Personal) stehen einigen mittleren
Unternehmen (Neustart, Pro Mente) und einer Fülle
von KMU gegenüber - Regulierungsformen nehmen in erster Linie auf
Big Player Rücksicht (zB Begutachtungsverfahren
im Gesetzgebungsprozess - Keine durchgängigen Vertragsstandards
- Für eine Dienstleistung in einem Bundesland 12
Vertragslösungen - BAGS-KV als Ausdruck einer Kartellierungspolitik
großer Sozialunternehmen, um Marktanteile zu
sichern - Pointiert KV zw AG und öffentlich Financiers
verhandelt - Too small to play Bevorzugung großer Träger
auf Basis des Vergaberechts sowie ausgeweiteter
Leistungs-, Berichts- und Dokumentationspflichten
10Regulierungsstruktur
- Sozialwirtschaft kennt keine eigenständige
Rechtsform (keine gGmbH keine genossenschaftliche
Tradition) - Vergaberecht DL-RL 2006 Vergebende Stellen
nutzen die weiten Spielräume hinsichtl. Wahl d
Verfahrenstyps NICHT - Wachsender Aufwand, am Wettbewerb/Ausschreibungen
teilzunehmen - Keine oder unzureichende Ausschöpfung der
qualitätssichernden Spielräume im Vergaberecht - SD im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung
geregelt, daher kein Rechtsschutz falls
Tagsatzverhandlungen scheitern - Kaum Rahmenverträge, regelhaft kurzfristige
Leistungsverträge - Geringe Beschäftigungssicherheit
- Uneinheitliche Regulierungsstruktur mit
unterschiedlichen Qualifikationsanforderungen,
Professionalitätsmaßstäben und Auslastungsvorgaben
(im förderalen Vergleich) - Sozial- und Behindertenhilfe
- Jugendwohlfahrt und Kindertagesbetreuungsrecht
- Alten- und Pflegeheimrecht, Heimaufenthaltsrecht
11Beschäftigungs- und Tätigkeitsstruktur
- Hohe Fluktuation/Turnover (vor allem im
Altenpflegebereich) - Systematische Benachteiligung von Frauen
insbesondere in konfessionellen Einrichtungen
Männer sitzen in der Geschäftsführung, Frauen im
operativen Bereich - Sozialbereich weist überdurchschnittliche Quoten
atypischer Beschäftigung (Teilzeit) aus
Teilzeitquote ist im Gesundheits-und
Sozialbereich mit 43 am höchsten, davon 50,2
Frauen (80,8 aller TZ-Beschäftigten sind
weiblich) (AK-Daten 2011) - Ausmaß der unbezahlten Arbeit (v.a. Ehrenamt
unbezahlte Überstunden) im Sozialbereich im
Genderbias ungleich verteilt insb. in sog.
Frauenunternehmen - Arbeitzeit- und Fallzahlpensum heterogen, hohe
Arbeitsdichte und hohe Flexibilitätsanforderungen
(stationärer Bereich, aber auch mobile Dienste) - steady state careers von Frauen im
Sozialbereich lange Verweildauer am Grundgehalt
(problematisch Anrechnung von Vordienstzeiten im
BAGS-KV - GP-Studie 2007 Rekordanteil bei
Burnoutgefährdung im Sozialbereich 27
(emotional erschöpft)
12Beschränkte Rationalisier-barkeit sozialer Dienste
- Immaterialität (Ergebnis/Nutzen nicht messbar
KEINE objektive Beurteilung der Qualität möglich) - Mitwirkung (Compliance Klient/Nutzer/Kunde
stellt Physis und Psyche zur Verfügung) - Unschlüssigkeit der Tauschbeziehung (Zahler ist
nicht Leistungsempfänger, Entgeltmodus und
Qualität vom Zahler bestimmt) - Multidimensionalität der Qualität (Ergebnis,
Struktur, Prozess, Personal) - Co-Produktion der DL proaktive Mitwirkung
- Uno-Actu-Prinzip / keine Lagerungsfähigkeit
Produktion und Konsumtion fallen zusammen
Standortgebundenheit der Leistung - Performative Bedarfsdeckung Trennung zwischen
Bedürfnis und Bedarf Bedarfskonkretisierung
während der Dienstleistung - Keine Massenproduktion hohe Bedeutung des
sozialen Kontextes
13Beschäftigungsausblick
- AMS/Synthesis Mikrovorschau Ausblick bis
2010-2014 - Wachstum mittlere Schätzung 5,3 ( auf 172.600
Arbeitsplätze maximale Annahme alleine im
Sozial- und Gesundheitswesen 62.900
Arbeitsplätze (überwiegend in den westl.
Bundesländern) - Starke Binnendifferenzierung arbeitsmarktnahe DL
im Boom (40 Arbeitsmarktförderung 2009 18
seniorenbezogene DL Pflegeaufwand 1998-2008
70 relative Rückgänge in den Bereichen Drogen,
Migration, Jugend)
14Einkommensstruktur
- Umstellung auf BAGS brachte vielfach Verluste im
Vgl zu Lds Vertragsbediensteten-Schemata mit sich - 9 Verwendungsgruppen ohne Abstimmung mit den
Materiengesetzen der Wohlfahrt (wenig/keine
Autonomie der Träger bei der Bestimmung von
Qualifikationsprofilen in Teams) - BAGS führte zu Umverteilung innerhalb des
Sozialbereiches, aber NICHT zu einer insgesamt
verbesserten Entlohnung im Vgl zu anderen
Branchen - Einkommensmedian Statistik Austria 2009 19.672
brutto 25 unter 9.263 unteres Drittel im
Branchenvergleich Sozialbereich liegt um 20
unter dem Durchschnitt sämtlicher Bruttobezüge - Working Poor im Wachstumsbereich Pflege
- legalisierte freiberufliche Hausbetreuung für
2,40 /h vor Steuern/Abgaben - Ambulante Pflege Krankschwester bei 39,5
Arbeitszeit/Wo samt Sa/So/Nä-Zulage
Bereitschaftspauschale 1080 brutto - Krankenpflegehelferin Altenheim 50 AZ/Wo mit
Grundgehalt 710 Sa/So/Nä-Zulage
Überstunden 1180 brutto - Mobiler Hilfsdienst, 40h/Wo, flexible Arbeitszeit
Arbeit auf Abruf - 1200 brutto Zulagen - Heimhilfe 8,39 brutto Zulagen
(Erschwernisszulage für Inkontinente 10-15) pro
Stunde netto ca 6,50 wechselnde
Stundenkontingente pro Monat
15Vertragsbeziehungen der Sozialwirtschaft
- Ungeregelter Finanzierungsmix aus
Leistungsverträgen, Subventionen und
Pauschalabgeltungen Entgelte nicht transparent
(auch in nicht innerhalb eines Bundeslandes) - Keine Rahmenverträge
- Keine kostendeckenden Normkostenansätze
- Unterschiedliche (willkürliche?) Vertragsdauer
- Ergebnis nach wie vor kurzfristige Verträge
(permanent negative Bestandsprognose für GF im
konkursrechtlichen Sinne) - Personalkostenkalkulation keine
Bindungswirkung des BAGS nicht nur FSW
(beinahe alle Bundesländer davon betroffen) -gt
Sozialwirtschaft zahlt untertarifär
16Krisenbewältigungsstrategien des
Wohlfahrtsstaates
- Krisenbewältigung auf dem Rücken der
Beschäftigten -gt - Sukzessiver Abbau von Qualifikationsreserven in
der Sozialwirtschaft (Bsp OöChG) - gt you employ
what you need - Selektive Verdichtung der Arbeitsbelastung
durch Fallzahlsteigerung und Flexibilisierung - Steigerung der Eigenleistungen von KlientInnen
- Risiken des Ausstiegs bedürftiger KlientInnen
- Erhöhung Eigenwirtschaftsquote der Träger
- Creaming-Anreize
- Erhöhung der Fallzahlen pro MitarbeiterIn
- Burnout-Risiken
- Reduktion von Supervisions- und
Fortbildungsbudgets
17Worüber man diskutieren sollte
- Entwicklung einer eigenen Rechtsform für
sozialwirtschaftliche Betriebe (Haftungsproblemati
k) - Verbindliche Vorgabe von mittelfristigen Rahmen-
und Leistungsverträgen zur Erhöhung der Planungs-
und Bestandssicherheit von sozialwirtschaftlichen
Unternehmen (mittelfristige Finanzierungsvereinbar
ungen) - Angleichung der Standards durch Art 15 a B-VG
Vereinbarung (Verbindliche Wirkung auch für das
AMS) - Gleichartige Sozialplanungsstandards in den
Bundesländern, Gemeinden und AMS - Existenzsichernder Mindestlohn aus 1500 /40h u.
Indexierung an der EU-SILC-Armutsschwelle - Verpflichtende Mindestpersonalschlüssel,
Betreuungsschlüssel u. maximale Fallzahlen
abgestimmt auf einfachgesetzlich
Qualitätsvorgaben - Herausnahme der Sozialwirtschaft aus dem
Vergaberecht - Weiterbildungsverpflichtung für MitarbeiterInnen
(keine Option) - Standardisierte Anforderungen an
Management-Funktionen im Bereich der
Sozialwirtschaft (Sozialmanagement) - Kammer-förmige Vertretung für zugehörige Berufe
der Sozialwirtschaft (Kammer für
Sozialbetreuungsberufe ?) sowie zur Vertretung
der wirtschaftlichen Interessen
sozialwirtschaftlicher Unternehmen