Title: Thema 6: Probleme gemischter Zust
1Prof. Dr. iur. Dr. rer. pol. Christian Kirchner
Humboldt-Universität zu Berlin Juristische
Fakultät / Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Internationale Finanzkrise Reformbedarf von
Basel II
Vortrag im Rahmen der vom Institut für
Volkswirtschaftslehre der Universität Lüneburg
(Leuphana) organisierten Vortragsreihe zu den
Ursachen und Folgen der Wirtschafts- und
Finanzkrise am 18. Juni 2009
2Gliederung
- Einführung
- Methodische Vorbemerkungen
- Krisenentstehung
- Bestimmung des Eigenkapitals nach IFRS
- Volatilitätsthese (Prozyklizität)
- Eigenmittelregulierung nach Basel II
- Zusammenspiel von IFRS und Basel II
- Reformen
31. Einführung (1)
- Die gegenwärtige internationale
Finanzmarktkrise hat verschiedene Ursachen. - Neben Marktversagen hat Staatsversagen eine
erhebliche Rolle gespielt. - Die Krise bietet die Chance, grundsätzliche
Reformen durchzuführen, die ohne die Krise von
Interessenvertretern wahrscheinlich verhindert
worden wären. - Es greift zu kurz, lediglich auf eine
Verschärfung der Regulierung zu setzen. - Erforderlich ist eine kluge Regulierung
(prudent regulation). - Eine kluge Regulierung muß an den Fehlern der
alten Regulierung ansetzen.
41. Einführung (2)
- These 1Die Bewertung von von
Finanzinstrumenten mit - dem beizulegenden Zeitwert (fair value) hat
zusammen mit - der Eigenmittelregulierung nach Basel II zu
einer Spirale der - Eigenkapitalvernichtung von Finanzinstituten und
zum - Austrocknen der Märkte für strukturierte
Finanzinstrumente - geführt.
- These 2 Der Grund liegt in den
unterschiedlichen - Zielsetzungen der beiden Regulierungsansätze.
- These 3 Die Eigenmittelregulierung sollte von
der - Regulierung über über internationale
Rechnungslegungs- - standards (IFRS, US-GAAP) abgekoppelt werden.
52. Methodische Vorbemerkungen (1)
- Institutionen (sanktionsbewehrte Regelungen)
setzen Anreize und Sanktionen und steuern damit
Verhalten. - Rechtliche Regelungen und Standards sind
relevante - Institutionen für das Verhalten von Akteuren auf
Finanz- - märkten.
- Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden,
daß diese Akteure eigennutzorientiert rational
handeln. - Phänomene beschränkter Rationalität
- Überoptimismus und Überpessimismus
- Herdenverhalten
62. Methodische Vorbemerkungen (2)
- Beschränkte Rationalität in der Literatur
- Problem der Schöpfung von Papiergeld ohne
Deckung. - Faust zum Vertrauen derjenigen, die dieses
Papiergeld akzeptieren - Doch fassen Geister, würdig, tief zu schauen,
zum Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen. - Johann Wolfgang von Goethe, Faust - Zweiter
Teil, Erster Aufzug, Kaiserliche Pfalz,
Lustgarten -
- Quelle Koch, Manfred, Goethe und die Fiktionen
der Finanzwirtschaft, NZZ, 23./24. Mai 2009, S. 32
73. Krisenentstehung (1)
- Finanzinstitute haben strukturierte
Finanzinstrumente (auf verbrieften
Hypothekenkrediten basierende Schuldtitel)
erworben, die von Rating-Agenturen mit
Höchstwerten (AAA) versehen worden sind. - Mit dem Zinsanstieg in den USA und dem Verfall
der Immobilienpreise haben sich die Ratings als
falsch erwiesen. - Die betroffenen Finanzinstitute haben massive
Wert-berichtigungen vornehmen müssen und sind zu
Notver-käufen geschritten. - Der Markt für die betreffenden Papiere ist
zusammengebrochen. Es gab für diese Papiere
keinen Marktwert mehr.
83. Krisenentstehung (2)
- Das Eigenkapital der Finanzinstitute schrumpfte
dramatisch. - Der Interbankenmarkt brach zusammen, weil
erhebliche Unsicherheit herrschte, ob Bilanzen
versteckt belastet waren. - Staaten halfen aus durch
- Kapitalzufuhren (Passivseite der Bilanz)
- Garantien (Aktivseite der Bilanz)
- Befreiung der Bilanzen der Finanzinstitute von
toxischen Papieren (Aktivseite der Bilanz) - Ursachenanalyse Wieweit sind die
Fehlentwicklungen auf Fehler in der Regulierung
zurückzuführen, insbesondere auf die mangelnde
Abstimmung zwischen Internationalen
Rechnungslegungsstandards (IFRS) und
Eigenmittelregulierung durch Basel II?
9Bestimmung desEigenkapitals nach IFRS
- Eigenkapital Differenzbetrag von Vermögenswerten
und Verbindlichkeiten - Schwankung des Gesamtbetrags der Vermögenswerte
abhängig von Ansatz- und Bewertungsansätzen für
die jeweiligen Positionen - In Bilanzen von Finanzinstituten spielen
Finanzinstrumente eine erhebliche Rolle, die in
der Regel zum beizulegenden Zeitwert (fair value)
zu bewerten sind (Ausnahme bei Umklassifizierung
in die Kategorie Forderungen Bankbuch) (IAS
39) (SFAS 157) - Eine Bewertung zum beizulegenden Zeitwert ist
dannproblematisch, wenn - keine Marktwerte existieren.
- sich Marktwerte manipulieren lassen.
- Bei fehlenden Marktwerten Verwendung von
Bewertungsmodellen.
105. Volatilitätsthese (Prozyklizität)
- Bewertung von Finanzinstrumenten bei
ratinggestütztem - Optimismus der Marktteilnehmer starkes
Ansteigen des - Eigenkapitals (Problem des Überoptimismus)
- (Doch fassen Geister, würdig, tief zu schauen,
zum Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen.) - Bewertung von Finanzinstrumenten bei wachsender
- Skepsis der Marktteilnehmer (Problem des
Überpessimismus) in der zweiten Phase
ratinggestützt - starke Kontraktion des Eigenkapitals
- Durchschlagen auf die Kreditvergabe abhängig von
der Bankenregulierung. Problem Mit sinkender
Eigenkapitalquote steigt das Problem des
moralischen Risikos (moral hazard)(längere
Hebel!).
116. Eigenmittelregulierungnach Basel II (1)
- Basel II Eine Empfehlung des Baseler
Ausschusses für Bankenaufsicht ? umgesetzt in
EG-Recht in der Eigenkapital-Richtlinie (Capital
Requirement Directive CDR) ? umgesetzt in
10 ff. KWG ? umgesetzt in der Solvabilitäts-Verord
nung und der Großkredit- und Millionenkredit-Vero
rdnung - Die Risiken in den Positionen auf der Aktivseite
werden ins Verhältnis gesetzt zum Eigenkapital. - Basel II enthält in der ersten (von drei)
Säule(n) Mindest-kapitalanforderungen, gewichtet
nach den jeweiligen Risiken. Basel pauschal 8
ohne Risikogewichtung!
126. Eigenmittelregulierungnach Basel II (2)
- Unterscheidung zwischen Basel-II-Regelungen für
die Gewichtung der Kreditrisiken (Aktivseite) und
der Ermittlung des Eigenkapitals (Passivseite). - Probleme auf der Aktivseite Veränderung der
Risikoeinstufung mit sich ändernden Ratings
(prozyklische Erhöhung der Eigenmittelunterlegung
von Aktiva) - Probleme auf der Passivseite Überleitungsrechnung
en vom Eigenkapital nach IFRS zum
Basel-II-Eigenkapital (prudential filters). - Ziel der Verwendung von prudential filters
Neutralisierung der Berücksichtigung
unrealisierter Gewinne
136. Eigenmittelregulierungnach Basel II (3)
- Probleme der prudential filters
- Konsolidierungskreis für die Eigenkapitalanforderu
ngen nicht identisch mit dem Konsolidierungskreis
nach IFRS - Einseitiger Ansatz bei Neutralisierung von nicht
realisiertenGewinnen - Keine Lösung des Problems einer Bewertung zum
beizulegenden Zeitwert (fair value) beim Fehlen
von Marktpreisen - Zwischenlösung durch Erlaubnis der
Umklassifizierung von Finanzinstrumenten in das
Bankbuch (Okt. 2008) - Automatisches Durchschlagen auf die
bankaufsichtsrecht-liche Eigenmittelregulierung - Politischer Druck auf den Standardsetzer (FASB
und IASB) - Nichteinhalten der Verfahrensvorschriften des
IASB - Umsetzung in EG-Recht VO (EG) 1004/2008 vom
15.10.2008
147. Zusammenspiel von IFRS und Basel II (1)
- Regulierung der Finanzmärkte über Standards der
Rechnungslegung/Finanzberichterstattung - Verminderung von Informationsasymmetrien
- Verbesserung der Informationslage der Akteure,
die Entscheidungen in Bezug auf denjenigen zu
treffen haben, der zur Rechnungslegung/Finanzberic
hterstattung ver-pfichtet wird. - Regulierung der Finanzmärkte über Regelungen zu
Eigenkapitalanforderungen für Banken - Verminderung des moralischen Risikos (moral
hazard), das sich umgekehrt proportional zur
Eigenmittelunterlegung von mit Risiko verbundenen
Transaktionen entwickelt.
157. Zusammenspiel von IFRS und Basel II (2)
- Absatzprobleme strukturierter Finanzinstrumente
(ab Herbst 2007) wirken sich negativ auf den
Marktwert dieser Papiere aus. - Kontraktion des bankenaufsichtsrechtlichen
Eigenkapitals - Druck, die Papiere entweder zu verkaufen oder
Wert-berichtigungen vorzunehmen - Belastung der Marktwerte durch Verkäufe
- Herunterstufung des Ratings der Papiere
- Drohende Schließung von Finanzinstituten bei
Unterschreiten des Mindesteigenkapitals
167. Zusammenspiel von IFRS und Basel II (3)
- Notwendigkeit der Aufnahme neuen Eigenkapitals
- Mißtrauen des Marktes, da der Umfang des weiteren
Wertberichtigungsbedarfs nicht absehbar ist - Ruf nach staatlicher Rettung
- Möglichkeit der Umklassifizierung der
Finanzinstrumente ins Bankbuch - Stärkung der Passivseite (staatliche Beteiligung)
- Staatliche Garantien für Risiken
- Entlastung der Aktivseite (Auslagerung toxischer
Finanz-instrumente) - Druck auf politische Entscheidungsträger, zu
retten - Druckmittel Hinweis auf systemisches Risiko,
Zusammenbruch des Interbankenmarktes,
unzureichende Kreditversorgung der Realwirtschaft
178. Notwendige Reformen
- Abkoppelung der Bestimmung des bankenaufsichtsrech
tlichen Eigenkapitals vom nach internationalen
Rechnungslegungs-standards bestimmten
Eigenkapital - Entwicklung von Bewertungsmodellen für die Zwecke
der Bankenaufsicht - Prüfung der Bewertung von Finanzinstrumenten in
Bankbilanzen durch Bankenaufsichtsbehörden - Anlage von Puffern in Zeiten guter Konjunktur?
- Bessere Problemlösung durch prudential filters
- Schnelles Verpuffen bei steigendem
Wertberichtigungsbedarf beim Umschlagen der
Konjunktur - Notwendige Voraussetzung für das Funktionieren
der Banken-regulierung Rechnungslegungsexperten
in Bankenaufsichts-behörden!