Title: Christine Mooshammer (IPDS Kiel)
1Vokalreduktion im Deutschen
Christian Geng Zentrum für Allgemeine
Sprachwissenschaft, Typologie und
Universalienforschung GWZ Berlin
- Christine Mooshammer
- Institut für Phonetik und digitale
Sprachverarbeitung - Universität Kiel
2Ãœberblick
- Vokalreduktion in den Sprachen der Welt
- Phonetik
- Phonologie
- Vokalreduktion im Deutschen
- Artikulatorische Ergebnisse
- Akustische Ergebnisse
- Evaluierung
- Diskussion
31. Vokalreduktion phonetisch
- Phonetische Vokalreduktion (z.B. bei schnellem
Sprechen oder Deakzentuierung) - Lindblom 1963 Target undershoot
- Vokale werden verkürzt
- Zwei Möglichkeiten
- schnellere Artikulationsbewegungen
- ? erhöhter Aufwand
- 2. Reduktion der Öffnungs- und Schließ-bewegung
- Vokalziel wird nicht erreicht und liegt näher am
Konsonanten - verstärkte Koartikulation
- Vermeidung von erhöhtem artikulatorischem Aufwand
41. Vokalreduktion phonologisch
- Target undershoot spielt eine Rolle bei
- Sprechgeschwindigkeit
- Sprechstil
- Wortakzent
- Vokalreduktion als gradueller phonetischer
Prozess - phonologisch in vielen Sprachen kommt es zu
Neutralisationen - Welchen Regularitäten unterliegen die
Reduktionsmuster in den Sprachen der Welt?
(Flemming, Crosswhite, Barnes, Padgett
Tabain...) - Beispiel Russischbetont /i, e, a, o,
u/unbetont /i, ? , u/
51. Vokalreduktion phonologisch
- Beispiel Katalanisch
- Wortbetonte vordere Vokale
- /e/ cec blind
- /E/ sec trocken
- /a/ sac Sack
- werden zu /?/ in wortunbetonter Position
- /?/ ceguet kleine blinde Person
- /?/ secar trocknen
- /?/ saquet Säckchen
- Wortbetonte hintere Vokale
- /?/ sord taub
- /o/ sol Sonne
- werden zu /u/ in wortunbetonter Position
- /u/ sordesa Taubheit
- /u/ solet Sönnchen
aus Herrick 2003
61. Vokalreduktion phonologisch
- Unbetont mit Neutralisation
- Betont
- (nach Padgett Tabain 2004)
Unbetont ohne Neutralisation
71. Vokalreduktion phonologisch
- Erklärungen für diese Muster
- durch Vokalkürzung kommt es zu Target undershoot
- ? phonetischer Determinismus alle Sprachen mit
ähnlichem Vokalsystem müssten auch ein ähnliches
Reduktionsmuster zeigen. - Flemming (2004, submitted)
- Optimalitätstheoretischer Ansatz
- Beschränkungen
- Maximierung der Distinktivität von Kontrasten
- Maximierung der Anzahl der Kontraste
- Minimierung des artikulatorischen Aufwands
- Unterschiede ergeben sich aus sprachspezifischen
Festlegungen - der minimalen Distanz
- der Beschränkungsreihenfolge
81. Vokalreduktion phonologisch
- Spezifikation von MINDIST
- (Minimale Distanz zwischen Vokalen in einer nicht
näher spezifizierten auditorischen Skala) - Ranking von MAXIMISE CONTRASTS
- (maximiere die Anzahl der Kontraste)
- SHORT LOW V
- (vermeide artikulatorischen Aufwand)
- spielt keine Rolle bei betonten Vokalen
- ?Phonetisch fragwürdig
91. Vokalreduktion phonologisch
- Flemming (2004, submitted)
- Crosswhite (2001, 2004) prominence alignment
- Vokale unterscheiden sich inhärent durch ihre
Prominenz - Segmentelle Prominenz ist durch die
Kieferposition und die Dauer spezifiziert - agte/ogti/u
- Sonorität
- Prominente Segmente werden in unbetonter Position
vermieden - Vokalreduktion durch Target undershoot
- Anpassung der segmentellen Prominenz an die
prosodische Prominenz - Weiteres Reduktionsmuster
- nur die Eckvokale bleiben übrig
- z.B. Weissrussisch /e, o/ werden zu /a/ in
unbetonter Position - Contrast enhancement Vermeidung von perzeptuell
schwierig unterscheidbaren Vokalqualitäten in
prosodisch schwachen Positionen
102. Eigene Untersuchung Fragestellungen
- Bisher Argumentation basiert bisher auf
impressionistischen Daten und einigen wenigen
perzeptiven und akustischen Studien - Ziel 1 Artikulatorische Untersuchung zum
Wortakzent - Ungespannte Vokale sind relativ unkomprimierbar
und undehnbar. Target undershoot basiert aber auf
Kürzung - Ziel 2 Untersuchung der ungespannten Vokale
112. Eigene Untersuchung Dank
- Kooperation mit
- Susanne Fuchs (Berlin)
- Mooshammer, C. Fuchs S. (2002). Stress
distinction in German Simulating kinematic
parameters of tongue tip gestures. Journal of
Phonetics 30, 337-355. - Phil Hoole (München)
- Hoole, P. C. Mooshammer. (2002). Articulatory
analysis of the German vowel system. In P. Auer,
P. Gilles H. Spiekermann (eds.), Silbenschnitt
und Tonakzente. Niemeyer, Tübingen, pp. 129-152. - Christian Geng (Berlin)
- Mooshammer, C. Geng, C. (accepted). Acoustic
and articulatory manifestations of vowel
reduction in German. Journal of the International
Phonetic Association. - Geng, C. Mooshammer C. (submitted). How to
stretch and shrink vowel systems Results from a
speaker normalization. Journal of the Acoustical
Society of America. - Jörg Dreyer (Techniker)
122. Eigene Untersuchung Experiment
- EMMA Studie
- 4 Sensoren auf der Zunge Kiefer, Oberlippe
- 7 Sprecher des Deutschen
- 2 weiblich W1, W2
- 5 männlich M1-M5
- 15 Vollvokale des Deutschen
- betont /?t?Vt??/
- unbetont /t?V?t?a?l/
- Trägersatz Ich habe tVter nicht tVtal gesagt.
- 8 Wiederholungen
132. Eigene Untersuchung Dauern
ungespannt
gespannt
142. Eigene Untersuchung Sprecherspezifische
Unterschiede
Zungenpositionen während der akustischen
Vokalmitte
152. Eigene Untersuchung Sprechernormalisierung
- Generalized Procrustes Analysis (Rohlfs Slice
1990) - Die einfachste Form der Procrustes Analyse
besteht aus drei Schritten - Zentrierung
- Skalierung mit einem konstanten Faktor
- Rotation
- Konsensus-Objekt (sprecherunabhängig)
- rekonstruierte Sprecherdaten
- Eingabedaten
- Formantkarten in der Vokalmitte (F1 F2 x 15
Vokale x 2 Betonungsbed. x 7 Spr.) - Zungenkonfigurationen in der Vokalmitte(4
Sensoren x 2 Dim. x 15 Vokale x 2 Betonungsbed. x
7 Spr.) - Gaumenkonturen (14 Messpunkte x 2 Dim. x 7
Sprecher)
162. Eigene Untersuchung Procrustes-Normalisierung
der Gaumenkonturen
172. Eigene Untersuchung Zungenpositionen
- Gespannte Vokale
- /i/ kaum Einfluss
- /u, o/ Vorverlagerung Anhebung der
Zungenspitze - /a/ Anhebung der Zunge
- bei unbetonten Vokalen
Ungespannte Vokale bei allen Vokalen ist die
gesamte Zungen-konfiguration erhöht ? verstärkte
Koartikulation mit Kontext (/tVt/)
182. Eigene Untersuchung Schrumpfung
- Gespannte Vokale
- Reduktion in beide Richtungen
- Mehr Reduktion am Zungenspitzensensor
- ? Starke temporale und räumliche Reduktion
34
Zungenspitze
Zungenrücken
192. Eigene Untersuchung Diskrepanz zu Phonologie
(bzw. Akustik)
- Formantkarten
- ähnliche Reduktionen bei gespannt und ungespannt
- Zentralisierung in horizontaler Richtung
- Reduktion relativ gleichförmig in beide
Richtungen - Keine direkte (simple) Beziehung zwischen Akustik
und Artikulation - Anhebung der Zungenspitze bewirkt Zentralisierung
von F2
202. Eigene Untersuchung Evaluierung der Methode
- Scatter reduction
- Lobanov 47 der Rohdatenvariabilität
- Procrustes 15 der Rohdatenvariabilität
- Diskriminierungs-leistung
- mittels linearer Diskriminanzanalyse
- Prozent korrekt klassifizierter Vokale
213. Zusammenfassung
- Die ungespannten Vokale werden trotz ihrer
Inkompressibilität in unbetonter Position
räumlich reduziert. - Schrumpfung des Vokalraumes hängt von der
Vokalkürzung ab. - Die Reduktionsrichtung hängt nicht von
phonologischen Merkmalen wie Vokalhöhe oder
vorne-hinten ab, sondern - hauptsächlich von der Lage und Entfernung des
Vokals zum konsonantischen Artikulationsort. - DAC degree of articulatory constraint
- palataler Plosiv vs. laryngaler Frikativ
- /i/ vs. /a/
- Untersuchungen mit weiteren Kontexten (z.B.
pharyngal) - Weiterhin ungelöst warum unterscheiden sich
Sprachen wie Englisch vs. Deutsch vs. Russisch so
stark in ihren Neutralisationsmustern? - nicht Größe des Vokalinventars
- vielleicht Quantität? und/oder Realisierung des
Wortakzents?
223. Ausblick
- Phonetische Modellierung bzw. artikulatorische
Synthese - generell stärkere Überlappung von Öffnungs- und
Verschließgeste impliziert auch eine kürzere
Dauer - ?passt nicht zu ungespannten Vokalen
- besser Unterschiedlich schnelle Relaxierung der
am Kontext beteiligten Muskeln, z.B.
longitudinalis superior für /t/ - während betonter Vokale kaum Muskelaktivität von
am Vokal unbeteiligten Muskeln - während unbetonter Vokale Restaktivität vom am
Kontext beteiligten Muskeln - erhöhter Aufwand in wortbetonten Silben beruht
auf schnellerer Muskelaktivierung und
relaxierung für die benachbarten Laute - plausibler als Crosswhites prominence avoidance
- Integrierbar in Zungenmodelle wie GEPPETO (ICP
Grenoble, Payan Perrier)
23Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
242. Vowel quality Formants
- F1 increases with greater global vocal effort
and with lower degrees of prominence (? sonority
expansion) - /e/ in unstressed syllables is centralized ( F2
lowering) but still distinct from /?/ (6) - (except for /e/ in Senat of speaker DP from
Berlin)