Title: Einf
1Einführung in das Altitalienische
- 1. Sitzung - 12. April 2010
2Programmübersicht
3Programmübersicht
- 12.04.10
- Allgemeine Einleitung Organisatorisches
- 19.04.10
- Die Epochen der italienischen Sprachgeschichte
und die Positionierung des Altitalienischen - 26.04.10
- Die Grundlagen des sprachhistorischen Arbeitens
- 03.05.10
- Vom Lateinischen zum Italoromanischen die
ältesten überlieferten Texte (I)
4Programmübersicht
- 10.05.10
- Vom Lateinischen zum Italoromanischen die
ältesten überlieferten Texte (I) - 17.05.10
- Analyse und Interpretation von Texten aus
Norditalien (I) - 31.05.10
- Analyse und Interpretation von Texten aus
Norditalien (II) - 07.06.10
- Analyse und Interpretation von Texten aus der
Toskana (I)
5Programmübersicht
- 14.06.10
- Analyse und Interpretation von Texten aus der
Toskana (II) - 21.06.10
- Analyse und Interpretation von Texten aus der
Toskana (III) - 28.06.10
- Analyse und Interpretation von Texten aus Mittel-
und Süditalien (I)
6Programmübersicht
- 05.07.10
- Analyse und Interpretation von Texten aus Mittel-
und Süditalien (II) - 12.07.10
- Die sprachliche Entwicklung in der Renaissance
- 19.07.10
- Das Florentinische des 14. Jahrhunderts als
Sprachmodell des 16. bis 19. Jahrhunderts
Allgemeine Wiederholung
7WAS IST ALTITALIENISCH?
8Was ist Altitalienisch?
- Scudiero, percorri lo bosco e guarda se havvi
torti da raddrizzare, castella da difendere,
offese da cancellare, abusi da correggere - e damigelle da salvare!.
(Comic von 1960)
9Merkmale des Sprechblasentextes
- Der männliche Artikel lo (vgl. lo bosco) war im
Mittelalter die Normalform. Die heute übliche
Distribution von il (vor Konsonant) und lo (vor s
Konsonant, z, ps, x, j etc.) exisierte noch
nicht - Belege in mittelalterlichen Texten
- Nel cominciamento di ciascuno bene ordinato
convivio sogliono li sergenti prendere lo pane
apposito... - E ancora la propria loda e lo proprio biasimo è
da fuggire per una ragione igualmente... - (Dante Alighieri, Convivio I, 2)
10Merkmale des Sprechblasentextes
- Die Konstruktion havvi (aus ha es hat,es
gibt, dritte Person Singular von avere haben
vi hier) ist zwar typisch für Texte des
Mittelalters, doch im vorliegenden Fall spielt
die Enklise an unpassender Stelle auf das
Tobler-Mussafia-Gesetz (it. legge
Tobler-Mussafua) an, da sie im Alttoskanischen
nicht im mit se eingeleiteten Nebensatz eintritt,
sondern nur am Satz- bzw. Versanfang, nach e und
ma sowie im Hauptsatz, wenn diesem ein Nebensatz
vorausgeht.
11Merkmale des Sprechblasentextes
- Belege in mittelalterlichen Texten
- Nel primo cerchio avea trecento novanta sette
torri, cioè quello dentro nel secondo navea
cinquecento due nel terzo navea mille cento
diece e avievi sette porte. - (Anonymus, zit. nach GDLI I, 875-876)
12Merkmale des Sprechblasentextes
- Die Pluralform castella Schlösser gegenüber dem
heute üblichen castelli basiert noch auf dem
alten Plural der lateinischen Neutra castellum
das Schloss, castella die Schlösser - quando con trombe, e quando con campane,
- con tamburi e con cenni di castella,
- e con cose nostrali e con istrane
- né già con sí diversa cennamella
-
- Ché se l conte Ugolino aveva voce
- daver tradita te de le castella,
- non dovei tu i figliuoli porre a tal croce.
- (Dante Alighieri, Divina Commedia, Inferno XXII,
9 und XXXIII, 86)
13ZItate zum Altitalienischen
- La maggior purezza della tempera del linguaggio
si combina poi con una persistenza che rasenta
linvariabilità. Non cè così un antico italiano
da contrapporre al moderno, come al moderno
francese si contrappone un antico. (Graziadio
Isaia Ascoli)
14ZItate zum Altitalienischen
- Man behauptet, das Italienische habe sich seit
Dante nur unwesentlich verändert. Ich glaube
..., daß sich das Italienische im Gegenteil
gewaltig verändert hat und daß diese
Veränderungen einer völligen Auflösung seines
ursprünglichen Bestandes ähnlich sehen. Und es
sind nicht irgendwelche obskure Skribenten, die
diese neue Sprache verwenden. Noch Machiavelli
kennt keine andere. Trotzdem ist die Behauptung
wahr, so paradox das klingen mag das heutige
Italienisch unterscheidet sich nur unwesentlich
von der Sprache Dantes. (Huber 1951/52)
15ZItate zum Altitalienischen
- Si parla sì di italiano antico e moderno, ma
queste etichette hanno un valore cronologico
imprecisato e, quel che più importa, non
individuano insiemi di fenomeni caratteristici
delletà antica e di quella moderna. Più in
generale domina la convinzione che litaliano si
sia evoluto assai poco dal Trecento in poi,
cosicché la periodizzazione della storia
dellitaliano andrebbe affidata non
allarticolazione delle vicende, bensì a un
criterio meramente cronologico. Orbene questo
punto di vista è inaccettabile perché assurdo. È
mai possibile che dal Trecento al Novecento,
entro unepoca di rivolgimenti profondi della
condizione umana, la lingua, strumento di
pensiero e di cultura, sia rimasta pressoché
immutata? Evidentemente questa situazione
paradossale si deve a difetto di ricerche. (M.
Durante, 1981)
16Allgemeine Einführung Die Periodisierung des
Italienischen
17Die theoretischen Grundlagen der Periodisierung
- Die Periodisierung ist ein wichtiger Bestandteil
geschichtswissenschaftlicher Betätigung. - Der kontinuierliche Prozess der sprachlichen
Entwicklung wird dabei in einzelne, zeitlich
fassbare und begründbare Sprachstufen unterteilt,
wobei jede Periodisierung ein künstliches Gebilde
der Wissenschaft in Auseinandersetzung mit ihrem
Untersuchungsgegenstand darstellt
18Die theoretischen Grundlagen der Periodisierung
- Periodisierungen können aufgrund
unterschiedlicher Kriterien vorgenommen werden.
Diese können sprachexterner oder -interner Natur
sein.
19Die theoretischen Grundlagen der Periodisierung
- Zur ersten Kategorie gehören gesamtgeschichtliche
Epochen (Antike, Mittelalter, Neuzeit),
kirchengeschichtliche Entwicklungen
(Christianisierung, Scholastik, Reformation
etc.), sozialgeschichtliche (höfische Kultur,
Entfaltung des Bürgertums etc.) und
kulturgeschichtliche (Beginn der schriftlichen
Überlieferung, Auswirkungen des Buchdrucks, der
elektronischen Massenmedien etc.) und
bildungsgeschichtliche (schriftlicher Ausbau der
Volkssprachen, Ausbreitung der Lese- und
Schreibfähigkeit) Faktoren sowie
literaturgeschichtliche Epochen.
20Die theoretischen Grundlagen der Periodisierung
- Zur zweiten Kategorie zählen Entwicklungen im
Bereich der Lautung, Grammatik und Lexik.
21Die theoretischen Grundlagen der Periodisierung
- Die zeitliche Einteilung von Sprachgeschichte
lässt sich weiter hierarchisch gliedern. - Eine Epoche kann in Perioden unterteilt werden,
diese wiederum in Etappen und Phasen
22Die theoretischen Grundlagen der Periodisierung
- Als weiteres wichtiges Kriterium sprachlicher
Periodisierung kann z.B. die Verstehbarkeit
älterer Texte herangezogen werden, wobei im Falle
des Italienischen aufgrund seines konservativen
Charakters eine besondere Situation besteht, die
sich von der anderer europäischer Sprachen
grundsätzlich unterscheidet.
23Die theoretischen Grundlagen der Periodisierung
- Auch heute kann man toskanische Texte früherer
Epochen ohne Mediävistikstudium verstehen. - Die Grundlage zahlreicher germanistischer,
anglistischer und romanistischer
Periodisierungsmodelle ist der Lautwandel. - Doch auch dieses Kriterium greift beim
Italienischen nicht, da im Gegensatz zum
Deutschen, Englischen oder Französischen seit dem
Mittelalter keine nennenswerten Lautveränderungen
mehr stattgefunden haben.
24Die theoretischen Grundlagen der Periodisierung
- Eine andere Möglichkeit der sprachlichen
Periodisierung besteht darin, eine Kombination
allgemein historischer, sprachsoziologischer oder
auch literaturhistorischer Kriterien
heranzuziehen. - Dieser Ansatz scheint im Falle des Italienischen
am fruchtbarsten zu sein.
25Periodisierungsmodelle
- Giuseppe Baretti
- History of the Italian Tongue (1757)
- Erste knappe Sprach-geschichte des Italienischen
auf literarischer Basis
26Periodisierungsmodelle
- The Italian library containing an account of the
lives and works of the most valuable authors of
Italy, with a preface, exhibiting the changes of
the tuscan language, from the barbarous ages to
the present time
- Giuseppe Baretti, History of the Italian Tongue
(1757) - Die erste Phase ist durch mündliche Kommunikation
und das völlige Fehlen schriftlicher
Überlieferung in der Volkssprache geprägt. - In der zweiten Phase werden in Italien neben dem
Lateinischen das Provenzalische und Sizilianische
verwendet. - In der dritten Phase fehlt zwar noch eine
gesamtitalienische Standardsprache, jedoch ist
bereits eine zunehmende Erstarkung des
Florentinischen zu beobachten. - Die vierte Phase (buon secolo) fällt mit dem
Wirken von großen Dichtern wie Petrarca zusammen.
- Die fünfte Phase (cattivo secolo) ist geprägt
durch den Barockdichter Giambattista Marino. - Als sechste Phase können wir Barettis eigene Zeit
interpretieren, die literaturästhetisch weder als
gut noch als schlecht eingestuft wird. - Die siebte Phase befasst sich mit der Zukunft des
Italienischen, dem nach Meinung des Verfassers
Gefahr durch den zunehmenden Einfluss des
Französischen und Deutschen drohte.
27Periodisierungsmodelle
- Ugo Foscolo
- Epoche della lingua italiana (1825)
28Periodisierungsmodelle
- Sprach-geschichte auf literatur-wissen-schaftliche
r Basis
- Die erste Epoche reicht von 1180 bis 1230. Sie
ist geprägt durch das Fehlen einer eigenständigen
italienischen Literatur. Gedichtet wird auf
Latein und Provenzalisch (z.B. durch Sordello da
Goito). - In der zweiten Epoche (1230-1280) tritt mit der
Scuola siciliana zum ersten Mal eine italienische
Literatur in Erscheinung. - In der dritten Epoche (1280-1330) wirken die
Dichter des dolce stil nuovo (Guido Cavalcanti,
Cino da Pistoia etc.) sowie Dante mit seiner
Divina Commedia. - Die vierte Epoche (1350 bis 1400) wird bestimmt
durch das literarische Wirken Giovanni Boccaccios
und Francesco Petrarcas. Als positiv
hervorgehoben wird der Ausbau des Florentiner
Dialektes zur angesehenen Literatursprache
(insbesondere durch Boccaccios Decameron), als
negativ hingegen das Engagement des späten
Petrarca für das Lateinische. - Das Hauptmerkmal der fünften Epoche (1400-1500)
ist der rasche Verfall der Literatursprache nach
dem Tode Boccaccios, der erst zur Zeit von
Lorenzo de Medici zum Stillstand kommt. - Die sechste Epoche (1500-1600) wird bestimmt vom
wiedererwachten Interesse an der Literatur der
großen Trecentisten und den Protagonisten der
Questione della lingua (insbesondere Pietro Bembo
).
29Die Etappen der italienischen Sprachgeschichte
- Blasco Ferrer (1994, 1999) stützt sich auf das
Periodisierungsmodell der Accademia della Crusca,
das eine Einteilung in insgesamt fünf Etappen
vorsieht.
30Die Etappen der italienischen Sprachgeschichte
- Altitaloromanisch (9. 10. Jh.) Vorhandensein
von italoromanischen Texten aus verschiedenen
Regionen - Altitalienisch (1275-1375) Vermehrung der
alttoskanischen Dokumentation und die Entstehung
bedeutender literarischer Werke (bis zum Tode
Boccaccios). - Altitalienisch / Neuitalienisch (1375-1525)
Aufnahme diatopisch und diastratisch markierter
Innovationen ins Florentinische. - Neuitalienisch (1525-1840) Von der Kodifikation
des Trecento-Florentinischen durch Bembo bis zur
Überarbeitung der Promessi sposi auf
neuflorentinischer Grundlage durch Manzoni. - Italiano del Duemila noch nicht abgeschlossen.
31Die Etappen der italienischen Sprachgeschichte
- Italiano predocumentario (bis ca. 800). Die
italoromanische(n) Volkssprache(n) existierte(n)
bereits vor der ersten Manifestation
schriftlicher Dokumente. - Italiano delle Origini (ca. 800 bis ca. 12./13.
Jahrhundert). Die italoromanischen Dialekte sind
in Texten dokumentiert und bildeten bis zum
Spätmittelalter eine eigene literarische
Tradition heraus, wobei die Toskana im Laufe der
Zeit eine Führungsrolle einnahm. - Italiano antico (ca. 12./13. Jahrhundert bis ca.
1525). Das Altitalienische endet mit Bembos
sprachprogammatischer Grammatik Prose della
volgar lingua. - Italiano moderno (ca. 1525 bis ca. 1840). Das
Gegenwartsitalienische beginnt mit Manzonis
Romanüberarbeitung. - Italiano contemporaneo e futuro (ca. 1840 bis
2000).
32Die Etappen der italienischen Sprachgeschichte
- Haase (2007, 52-54) beschränkt sich auf drei
Etappen -
- Dialektale Periode ( Altitalienisch) von den
Anfängen bis ca. 1500 mit verschiedenen
dialektalen Schreibtraditionen (scriptae). - Koiné-Periode ( Neuitalienisch) von 1500 bis
zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit einer
großen Distanz zwischen gesprochener und
geschriebener Sprache. - Standard-Periode ( modernes Italienisch) seit
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der
Entwicklung einer modernen Standardsprache durch
die Einführung der Schul- und Wehrpflicht, durch
die Medien etc. Zusätzlich hat sich seit dem
frühen 20. Jahrhundert eine sozial und regional
stark differenzierte Umgangssprache
herausgebildet.
33Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
34Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Alle lebendigen Sprachen, in denen Menschen
kommunizieren, unterliegen einem natürlichen
Wandel, der sich manchmal relativ schnell oder
auch langsam vollzieht. Den Sprechern selbst ist
der Wandel normalerweise nicht bewusst. - Im Vergleich mit anderen europäischen Sprachen
haben Sprachwissenschaftler des 19. und 20.
Jahrhunderts auch dem Italienischen ein hohes Maß
an Unveränderlichkeit zugeprochen.
35Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Dies hängt zweifelsohne damit zusammen, dass die
Kodifizierung der schriftlichen italienischen
Standardvarietät zwischen dem 16. und 17.
Jahrhundert auf der Grundlage literarischer
florentinischer Texte erfolgte und nur von einer
kleiner Minderheit Schriftkundiger praktiziert
wurde, während die große Masse der Bevölkerung
ausschließlich den heimischen Dialekt sprach, der
sich wie jede lebendige Sprache mehr oder minder
rasch wandelte.
36Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Auch die kodifizierte Schriftsprache unterlag
einem Wandlungsprozess, der insgesamt allerdings
relativ gering war, so dass wir mit Kenntnissen
des modernen Italienischen Florentiner Texte des
14. Jahrhunderts ebenso wie Texte des 16., 17.
oder 18. Jahrhunderts ohne größere
Schwierigkeiten verstehen können. - Größere Schwierigkeiten hätten wir hingegen bei
florentinischen Texten des 15. und frühen 16.
Jahrhunderts, die durch starke morphosyntaktische
Dynamik geprägt waren.
37Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Hermann Paul betrachtet in seinen Prinzipien der
Sprachgeschichte als die eigentliche Ursache für
die Veränderung den Usus, d.h. die gewöhnliche
Sprechtätigkeit der Menschen im Alltag, wobei
jede absichtliche Einwirkung auf den Usus
ausgeschlossen ist. - Es wirkt keine andere Absicht auf die Sprache als
die auf das augenblickliche Bedürfnis gerichtete
Absicht seine Wünsche und Gedanken anderen
Verständlich zu machen
38Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Ein weiter Faktor des Wandels ist die Weitergabe
der Sprache von einer Generation an die nächste,
wobei ein Teil als veralteter Elemente nicht mehr
weiter tradiert wird. - Paul unterscheidet zwischen positiven und
negativen Vorgängen auf der einen Seite und der
Unterschiebung auf der anderen. - Unter positiv wird die Schöpfung von etwas Neuem
verstanden, unter negativ der Untergang von etwas
Altem, während bei der Unterschiebung der
Untergang des Alten und das Auftreten des Neuen
durch ein- und denselben Akt erfolgt (z.B. beim
Lautwandel).
39Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Wenn man beim Lautwandel die Zwischenstufen nicht
beachtet, kann einem entgehen, dass ein
Nacheinander von positiven und negativen
Vorgängen vorliegt. - Die negativen Vorgänge beruhen immer darauf, dass
in der Sprache der jüngeren Generation etwas
nicht neu erzeugt wird, was in der Sprache der
älteren vorhanden war. - Genaugenommen handelt es sich nicht um negative
Vorgänge, sondern vielmehr um das Nichteintreten
von Vorgängen, welches allerdings dadurch
vorbereitet sein muss, dass das später
Untergehende auch schon bei der älteren
Generation selten geworden war.
40Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Eine Generation, die ein bloß passives Verhältnis
dazu hat, schiebt sich auf diese Weise zwischen
eine Generation mit noch aktivem und eine spätere
mit gar keinem Verhältnis zu einem bestimmten
sprachlichen Phänomen.
41Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Der Düsseldorfer Germanist Rudi Keller betrachtet
den Sprachwandel wird als Ergebnis des Wirkens
einer sogenannten unsichtbaren Hand. - Der Sprachwandel wird hierbei weder als
Naturphänomen noch als Artefakt verstanden,
sondern als aus Einzelhandlungen der Individuen
als ungewollt und ungeplant entstandene Struktur.
- Er bezeichnet die Entwicklung als Phänomen der
dritten Art und unterscheidet zwischen einer
Mikroebene des individuellen Handelns sowie einer
Makroebene der durch dieses Handeln erzeugten
Strukturen. - Wichig dabei ist, dass die handelnden Akteure die
Makroebene nicht im Auge haben und sie auch nicht
reflektieren.
42Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Die alltäglichen, zufälligen Regelverletzungen
hinterlassen für gewöhnlich keine Spuren in der
Sprache, denn nur die systematischen
Regelverletzungen können sich letztendlich zu den
neuen Regeln der Zukunft entwickeln. - Antriebskraft ist dabei stets das
Mitteilungsbedürfnis der Menschen. - Sie haben bei all ihren kommunikativen
Unternehmungen in erster Linie den Erfolg ihrer
Bemühungen im Auge, d.h. sie wollen verstanden
werden, freundlich wirken, überzeugen,
Aufmerksamkeit erzeugen, Gruppenzugehörigkeit
oder Distanz signalisieren und vieles mehr. - Sprachzustände sind keine Endzustände von
Prozessen, sondern transitorische Episoden in
einem potentiell unendlichen Prozess kultureller
Evolution.
43Die Beschreibung des sprachlichen Wandels
- Die Wortbedeutungen ändern sich beispielsweise
durch eine Veränderung der Gebrauchsregeln. - Beim Bedeutungswandel verändern die Sprecher die
Gebrauchsregeln eines Wortes dadurch, dass die
Sprecher einen zunächst okkasionellen Sinn so
häufig erzeugen, dass innerhalb der
Sprachgemeinschaft mit der Zeit ein Umlernen
erfolgt. - Morphologischer Wandel entsteht in der Regel
durch Regelverletzungen, Bedeutungswandel als
Sinnspezifizierung durch regelkonforme
Morphologischer Wandel entsteht in der Regel
durch Regelverletzungen, Bedeutungswandel als
Sinnspezifizierung durch regelkonforme
Spezialverwendung. - Von den Zeitgenossen wird Sprachwandel
normalerweise nicht als Wandel, sondern als
Sprachverfall wahrgenommen, denn die menschliche
Sprache stellt ein komplexes System
konventioneller Regeln dar. - Jede Veränderung beginnt automatisch mit der
Übertretung der Regel.
44Die Beschreibung von Sprachwandelprozessen
- Die sprachlichen Veränderungen, die sich von
mehreren Generationen vollzieht und für den
Sprachbenutzer kaum oder meistens überhaupt nicht
wahrnehmbar sind, müssen vom Sprachhistoriker
erkannt und beschrieben werden können. - Am vielfältigsten sind die Lautveränderungen, die
nicht selten morphosytaktische oder semantische
Konsequenzen nach sich ziehen. - Bei der Entwicklung vom Lateinischen zum
Italienischen sind z.T. neue Laute entstanden,
wie beispielsweise die stimmhaften und stimmlosen
Affrikaten.
45Semantischer Wandel
- Semantische Veränderungen (it. cambiamenti
semantici) können sowohl durch Lautwandel (z.B.
Homophonie) oder aber auch durch kulturellen und
gesellschaftlichen Wandel initiiert werden. - Auch der Abbau von Polysemie und damit von
Missverständnissen kann eine Rolle spielen.
46Semantischer Wandel
- Bedeutungserweiterung (it. estensione semantica
allargamento di significato z.B. lat. BRACCHIUM
Unterarm gt it. braccio Arm) - Bedeutungsverengung (it. restrizione semantica
restringimento di significato z.B. lat. ALTUS,
-A, -UM hoch,tief gt it. alto, -a hoch) - Bedeutungsverschiebung (it. spostamento
semantico z.B. lat. COXAM Hüfte gt it. coscia
Schenkel)
47Semantischer Wandel
- Bedeutungsverbesserung (it. miglioramento
semantico nobilitazione di significato z.B.
lat. CABALLUM Klepper gt it. cavallo Pferd
oder CASAM Hütte gt it. casa Haus), - Bedeutungsverschlechterung (it. peggioramento
semantico peggioramento di significato z.B.
arab. faqih Zollschreiber gt it. facchino
Kofferträger) - Bedeutungsübertragung (it. metafora z.B.
spiegare lt lat. EXPLICARE auseinanderfalten gt
erklären).
48(No Transcript)
49Phonetischer Wandel
- Phonetische Prozesse lassen sich in vier
Haupttypen untergliedern - a) die Veränderung von Segmenten in ihren
Merkmalen, - b) die Tilgung von Segmenten,
- c) die Hinzufügung von Segmenten sowie
- d) die Umstellung von Segmenten.
50Phonetischer Wandel
- Die Veränderung von Segmenten
- Affrizierung (it. affricazione) die Bildung von
Affrikaten aus Nichtaffrikaten (j gt d?), z.B.
lat. IAM gt it. già. - Assibilierung (it. assibilazione) die Erzeugung
von Zischlauten (t gt ts), z.B. lat. PLATEAM gt
it. piazza. - Assimilierung (it. assimilazione) die Anpassung
eines Lautes an einen anderen, z.B. lat. FACTUM gt
it. fatto.
51Phonetischer Wandel
- Die Veränderung von Segmenten
- Betazismus (it. betacismo) der Zusammenfall von
v und b zu b, z.B. lat. SERVARE gt it.
serbare (im Italienischen ein eher sporadisches
Phänomen). - Degeminierung (it. degeminazione) die
Reduzierung von Doppelkonsonanten, z.B. lat.
COMMUNEM gt it. comune. - Diphthongierung (it. dittongamento) die
Aufspaltung eines Einzelvokals in zwei Vokale,
z.B. in lat. PEDEM gt it. piede oder lat. FOCUM gt
it. fuoco.
52Phonetischer Wandel
- Die Veränderung von Segmenten
- Desonorisierung (it. dezonorizzazione) die
Umwandlung eines stimmhaften Lautes in einen
stimmlosen, z.B. im Lomb. bei der
Auslautverhärtung lat. NOVUM gt nov gt mail.
noeuf. - Dissimilierung (it. dissimilazione) die
Differenzierung identischer oder ähnlicher Laute,
z.B. lat. VENENUM gt it. veleno, di raro gt di rado - Geminierung (it. geminazione) die Bildung von
Doppelkonsonanten aus Einzelkonsonanten, z.B.
lat. FEMINAM gt it. femmina.
53Phonetischer Wandel
- Die Veränderung von Segmenten
- Monophthongierung (it. monottongamento) die
Reduzierung von Diphthongen (au gt ?), z.B.
lat. AURU(M) gt it. oro. - Nasalierung (it. nasalizzazione) die Bildung von
nasalen Lauten aus nichtnasalen (l gt n), z.B.
lat. MULGERE gt it. mungere.
54Phonetischer Wandel
- Die Veränderung von Segmenten
- Palatalisierung (it. palatlizzazione) die
Entstehung von palatalen Lauten aus
nichtpalatalen, z.B. lat. 'kentum gt it.
't?ento lat. 'gentem gt it. 'd?ente. - Sonorisierung (it. sonorizzazione) die
Umwandlung von stimmlosen Lauten in stimmhafte,
z.B. lat. PACARE gt it. pagare, lat. ACUM gt it.
ago. - Spirantisierung (it. spirantizzazione) die
Umwandlung von Verschlusslauten in Reibelaute
(b gt v), z.B. lat. HABERE gt it. avere.
55Phonetischer Wandel
- Die Veränderung von Segmenten
- Triphthongierung die Entstehung von drei
vokalischen Elementen aus einem Vokal (o gt
w?i), z.B. lat. BOVES gt it. buoi. - Velarisierung (it. velarizzazione) die Erzeugung
von velaren Konsonanten oder Vokalen aus nicht
velaren (e gt o), z.B lat. DEBERE gt it.
dovere.
56Phonetischer Wandel
- Die Tilgung von Segmenten
- Aphärese (it. aferesi) die Tilgung eines Lautes
oder einer Lautgruppe am Wortanfang, z.B. lat.
ECCLESIAM gt it. chiesa. - Apokope (it. apocope) die Tilgung eines Lautes
am Wortende, z.B. lat. FELICITATEM gt alttosk.
felicitade gt it. felicità. - Synkope (it. sincope) die Ausfall von Lauten im
Wortinneren, z.B. lat. FRIGIDU(M) gt FRIGDU.
57Phonetischer Wandel
- Die Hinzufügung von Segmenten
- Anaptyxe (it. anaptissi oder epentesi vocalica)
der Einschub eines Vokals in eine
Konsonantengruppe (z.B. frz. flèche gt siz.
filiccia). - Epenthese (it. epentesi) der Einschub eines
Konsonanten zwischen zwei Vokale, z.B. RUINAM gt
it. rovina. - Epithese (it. epitesi) die Anhängung eines
Vokals an das Wortende, z.B. lat. SUM gt it. sono. - Pro(s)these (it. prostesi) die Voranstellung
eines etymologisch nicht begründbaren Vokals,
z.B. per scherzo gt tosk. per ischerzo.
58Phonetischer Wandel
- Die Umstellung von Segmenten
- Metathese (it. metatesi) die Lautumstellung
(-er gt -re), z.B. lat. SEMPER gt it. sempre
lat. CASTRATUM gt siz. crastatu.
59Altitalienische Textkorpora im Internet
60Das Corpus testuale del Tesoro della lingua
italiana delle origini (TLIO)
- Das Textkorpus Tesoro della Lingua Italiana delle
Origini ist die größte Datenbank ihrer Art, in
der der altitalienische Wortschatz vor 1375
erfasst ist. - Sie enthält insgesamt 1960 Texte mit 21.779.245
Wörtern (Okkorrenzen) und ist in dem lokalen
System GATTO implementiert, in dem die
Lemmatisierung erfolgt. - Das lemmatisierte Korpus kann seit 2005 im
Internet über GattoWeb abgerufen werden. - Eine nichtlemmatisierte Fasung desselben Korpus
kann seit 1998 im Internet über ItalNet abgerufen
werden. Dieses Jahr istfür das auf der
literarischen Produktion basierende Modell von
großer Bedeutung, da mit Boccaccio der wichtigste
Prosaautor gestorben war.
61Das Corpus testuale del Tesoro della lingua
italiana delle origini (TLIO)
62Kurzbibliographie
- Castellani, Arrigo I più antichi testi italiani.
Edizione e commento. Bologna 21976. - Castellani, Arrigo Nuovi testi fiorentini del
Dugento. 2 Bde. Firenze 1982. - DAchille, Paolo Breve grammatica storica
dell'italiano. Roma 2001. - Michel, Andreas Einführung in das
Altitalienische. Tübingen 1997. - Serianni, Luca Lezioni di grammatica storica
italiana. Roma 21998. - Wiese, Berthold Altitalienisches Elementarbuch.
Heidelberg 21928.