Title: Entstehung, Symptomatik, Behandlung
1Entstehung, Symptomatik, Behandlung
Posttraumatische Belastungsstörung
Remscheider Gespräche, 18.05.06 Hans-Heinrich
Enders-Comberg Abteilung für allgemeine
Psychiatrie und Psychotraumatologie Ev. Stiftung
Tannenhof
2Plötzlich war alles anders!
3Unfall der Wuppertaler Schwebebahn (12.04.99)
4Historie der Traumaforschung
- Vorwissenschaftliche Interpretation und
Behandlung (Schicksal, Gottes Fügung, Hilfe durch
Religion, Philosophie) - 19. Jahrhundert railway spine (Eisenbahn)
- Charcot (1887), Janet (1889) Trauma und Hysterie
- Breuer und Freud sex. Mißbrauch und Neurose
- Weltkrieg I und II Kriegszitterer,
shell-shock - KZ-Syndrom v.Baeyer(1964), Keilson(1979),
Niederland(1980) - Vietnam Krieg
5Was ist ein seelisches Trauma?
- Ein psychisches Trauma ist ein vitales
Diskrepanzerleben zwischen bedrohlichen
Situationsfaktoren und individuellen
Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von
Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe
einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung
von von Selbst und Weltverständnis bewirkt.
(Fischer und Riedesser,1998)
6Was ist ein Psychotrauma?Ereignis versus Prozess
- Psychotrauma ist ein Prozess und nur im
zeitlichen Ablauf zu verstehen - Nicht das Ereignis ist die Verletzung, sondern
der dadurch ausgelöste seelische Prozess
(qualifying traumatic event) - Aktivierung des Psycho-neuro-endokrinologischen
Regelreises - Kernphasen
- Traumatische Situation Schock und Aufschrei
- Traumatische Reaktion Einwirkphase
- Spätphase Erholung oder Chronifizierung
7Intrusionen
- Unkontrolliertes Wiedererleben
- Alpträume
- Fehlende emotionale Distanz zum Geschehenen
- Physiologische Streß- und Angstreaktion
- Unterschiedliche Erinnerungsmodalitäten
- Trigger mit Ausweitungstendenzen
8Definition der Posttraumatischen
Belastungsstörung nach ICD-10
- Ereignis Außergewöhnliche Bedrohung
- Folge Tiefe Verzweiflung, Angst, Ohnmacht,
Hoffnungslosigkeit - Kernsymptomatik
- Intrusionen flash back, Alpträume
- Vermeidung Orte, Aktivitäten, Erinnerungen
- Emotionale Taubheit (numbing)
- Hyperarousal (Übererregtheit),
- Latenz Wochen bis Monate, selten Jahre
9Vermeidungsverhalten und Numbing
- dauerndes, angestrengtes Vermeiden
traumaverbundener Erinnerungen, Gedanken und
Gefühle - abgestumpfte Wahrnehmung von Gefühlen
- Gefühl der Distanziertheit und Entfremdung
- Psychogene Amnesie (Dissoziative Amnesie)
- Gefühl einer beschädigten Zukunft
10Vermeidungsverhalten und Numbing
- dauerndes, angestrengtes Vermeiden trauma-
verbundener Erinnerungen, Gedanken und Gefühle - abgestumpfte Wahrnehmung von Gefühlen
- Gefühl der Distanziertheit und Entfremdung
- Psychogene Amnesie (Dissoziative Amnesie)
- Gefühl einer beschädigten Zukunft
11Übereregbarkeit, Hyperarousal
- Ein- und Durchschlafstörungen
- Gereiztheit und Wutausbrüche
- Konzentrationsstörungen
- Überwachsamkeit, sicherndes Verhalten
- Schreckhaftigkeit
12Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTBS
- Allgemeine Risikofaktoren
- Art der Traumatisierung
- Dauer und Intensität des traumatischen
Ereignisses - wiederholte Traumatisierung
- Ausmaß der physischen Verletzung
- Menschen als Täter
- gezielte Verletzung
- irreversible Verluste
- Höhe der materiellen Schädigung
- von außen herangetragene, ständige Erinnerungen
13Subjektive und individuelle Risikofaktoren
- Subjektive Faktoren
- plötzliches und unerwartetes Geschehen
- geringer Grad eigener Kontrolle über das
Geschehen - Schulderleben
- Individuelle Risikofaktoren
- Jugendliche, Senioren, Frauen
- soziale Randgruppe
- niedriger sozioökonomischer Status
- mangelnde soziale Unterstützung von Familie,
Freunden, Presse - psychische oder körperliche Vorerkrankungen
- frühere Traumata, kindlicher Missbrauch
14Prävalenzrate für PTBS nach wichtigen Feldstudien
Autoren Jahr Land Lebenszeitprävalenz
Breslau 1991 USA 9,2
Resnick 1993 USA 12,3 Frauen
Kessler 1995 USA 7,8
Breslau 1998 USA 13 Frauen 6,2 Männer
Perkonigg 2000 Deutschland 1,3 (14-24 Jahre)
15PTBS Häufigkeit nach verschiedenen Traumata (nach
Märker 1997)
Art des Traumas Traumahäufigkeit PTBS Häufigkeit
Vergewaltigung 5,5 55,5
Sex. Belästigung 7,5 19,3
Krieg 3,2 38,8
Körperl. Gewalt 9,0 11,5
Unfälle 19,4 7,6
Unfallzeuge 25,0 7,0
Misshandlungen in der Kindheit 4,0 35,4
Irgendein Trauma 60,0 14,2
16Epidemiologie bei PTBS
- USA 50 erleben ein Trauma, 8 der Männer und
20 der Frauen entwickeln eine PTBS - Deutschland Lebenszeitprävalenz 1-7,8
- In 11 setzt PTBS verzögert ein, in 50 kommt es
zu Spontanremission - Nach 2 Jahren besteht bei einem 1/3 noch eine
PTBS, eine subsyndromale PTBS ist wahrscheinlich
häufig
17Neurobiologie und PTBS
18PTBS und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenac
hse
19Physiologische Veränderungen bei PTBS in Ruhe
- Stressreaktion und Stresshormone bleiben erhöht
(Schreckreaktion) - Startle Response Verringerte Habituation
(Gewöhnung), geringere pre-pulse Inhibition - Erniedrigte Cortisol Spiegel im Blut, verstärkte
Hemmung nach Dexamethason, niedrige ACTH-Werte
nach CRH Gabe (HPA-Achse) - Erhöhung des CRH im Liquor, Neurotransmitter bei
Angst - Erhöhter Beta Endorphinspiegel
- Sympathikus Hormone erhöhe (Norepinephrin-Werte
im Blut) - Veränderung des Hippocampus
- Aktivierung der Amygdala, Verkleinerung
- Erniedrigung der Herzfrequenzvariabilität
- Erhöhung von RR, HF, Hautleitfähigkeit
- EEG Veränderungen
- Veränderung der Schlafzyklen (Einschlafstörungen,
Fragmentierung, erhöhter REM Anteil, Alpträume)
20Das limbische System
21Hippocampus und Amygdala
22Funktionkreis der Amygdala
23Physiologische Veränderungen nach Traumaexposition
- Erhöhung des Muskeltonus (EMG),
- Rechts-shift im EEG im Sinne einer Übererregung
- Überaktivität der re. Amygdala, Unteraktivität
des li. Brocca Areals - Produktion von Endorphinen, Analgesie bis hin zur
Dissoziation
24Regelkreis der Amygdala
- Der Thalamus erhält Informationen von der
Außenwelt durch die Sinne - Der Thalamus-Amygdala Weg ist schnell
- Der Thalamus-Cortex-Amygdala Weg ist langsamer,
der Reiz ist aber kognitiv bearbeitet - Der Hippocampus steuert Erinnerungen bei und
prüft die emotionale Signifikanz
Cortex
Thalamus
Hippocampus
Amygdala
Reiz
25Traumareaktive Entwicklung
Trauma
Akute Belastungsreaktion
A D A P T A T I O N
Depression Angst Somatisierung Sucht Dissoziation
PTBS
Integration Kompensation
Persönlichkeitsstörung Komplexe PTBS
26Diagnostisches Spektrum der PTBS (nach Zohar 1998)
27Komorbidität bei PTBS von Einsatzkräften der
Berufsfeuerwehr Wagner 1999
28Lebenszeit-Prävalenzen für substanzbedingte
Störungen und PTBS in (Tacos Studie 2000)
gesamt m w
Alkohol-missbrauch 4,5 8,0 1,0
Alkohol-abhängigkeit 3,8 6,0 1,5
Drogen-missbrauch 0,8 1,0 0,5
Drogen-abhängigkeit 0,4 0,4 0,4
PTBS 1,4 0,6 2,2
29Missbrauch und Misshandlung i.d. Kindheit von
Patienten mit Substanzkonsum (Simpson und Miller
2000)
- Sexueller Missbrauch
- Mädchen 60,9 vs. 27
- Frauen 44,5 vs. 27
- Jungen und Männer zeigen keine signifikanten
Abweichungen zwischen den Gruppen - Körperliche Misshandlung
- Mädchen 46,2 vs. 21
- Frauen 38,7 vs. 21
- Männer 44,7 vs. 31
30Lebenszeit-Prävalenzen Comorbididtät von PTBS und
Sucht bei Vietnam-Veteranen
- Escobar (1983) 64-84 für alkohol-bedingte
Störungen - McFarland (1983) 40-44 für drogen-bedingte
Störungen - Kulka et al. (1988) Substanz-bedingte Störungen
mit - 73 häufigste Comorbidität bei PTBS
31Rel. Risiko für seelische Störungen als
Vorläufer traumatischer Ereignisse bzw. PTBS
(Perkonigg 2000)
Danach Trauma Danach PTBS
Alkohol-bedingte Störung 1,97 3,50
Drogen-bedingte Störung 2,19 3,02
Soziale Phobie 2,13 5,26
Panikstörung 2,03 4,90
Somatoforme Störung 2,32 5,21
32Relatives Risiko für traumatische Ereignisse und
PTBS vor anderen psychischen Störungen (Perkonigg
2000)
Zuvor Trauma Zuvor PTBS
Alkohol-bedingte Störung 1,29 3,09
Drogen-bedingte Störung 2,13 3,58
Agoraphobie 3,40 5,83
Generalisierte Angststörung 1,43 7,54
Somatoforme Störung 3,85 7,0
Panikstörung 5,4 1,99
33Relatives Risiko für Substanz-Missbrauch bzw.
Abhängigkeit(Breslau 1998)
- Verhaltensstörung 1,5
- Depression 2,9
- PTBS 4,5
- PTBS bei vorheriger Depression 7,5
34Relatives Risiko für Substanz-Missbrauch bzw.
Abhängigkeit(Breslau 1998)
Traumat. Ereignis ohne PTBS PTBS
Drogen insges. 1,3 4,5
Marihuana 1,6 1,8
Kokain 0,8 1,6
Medikamente 1,8 13
35 Bergische Traumastudie(Enders-Comberg,
Liebermann, Splittgerber)
Stichtagserhebung 13.03.2001
n Rücklauf
Insgesamt 379 271 (71,5 )
Vollstationär 335 220 (65,7 )
Teilstationär 62 51 (79,7 )
Suchtspezifische Erstdiagnose 100 68 (68 )
36Bergische Traumastudietraumaspezifische
Diagnostik
- Screening-Instrumente
- KTI (Kölner-Trauma-Inventar)
- IES-R (Impact of Event Scale-Revised)
- SDQ-5 (Somatoform Dissociation Questionair-5)
- DES-Taxon (Dissociative Experience Scale Taxon)
- PTSS-10 (Postraumatic Symptome-Scale)
- BDI (Beck-Depressions-Inventar)
- Interview-Phase
- SKID-I (Strukturiertes kl. Interview f. DSM-IV)
- SKID-D (Strukturiertes kl. Interview f.
dissoziative Störungen) - CTQ (Childhood Trauma Questionaire)
- AFT (Aachener Fragebogen zur Traumaverarbeitung)
37 Bergischen TraumastudieGeschlechtsverteilung
der PTBS-Prävalenzen
Männer Männer Frauen Frauen
absolut absolut
Allgemeinpsychiatrie teilstationär m 23 f 28 PP 4 17,4 2 7,1
Allgemeinpsychiatrie teilstationär m 23 f 28 LP 7 30,4 4 14,3
Allgemeinpsychiatrie vollstationär m 57 f 95 PP 10 17,5 26 27,4
Allgemeinpsychiatrie vollstationär m 57 f 95 LP 22 38,6 44 46,3
Sucht m 49 f 19 PP 6 12,2 5,9 5,9
Sucht m 49 f 19 LP 12 24,5 21,1 21,1
PP Punkt-Prävalenz LP Lebenszeitprävalenz
38Geschlechtsverteilung der PTBS-Häufigkeit
Bergischen Traumastudie
300
250
insgesamt
Männer
Frauen
200
Gesamtzahlen
150
n
PTBS Lebenszeit
100
PTBS aktuell
50
0
Sucht
Sucht
Sucht
Allgemeinpsychiatrie
Allgemeinpsychiatrie
Allgemeinpsychiatrie
39 Bergischen TraumastudieTraumatische Ereignisse
i.d. Vorgeschichte von Suchtpatienten
n 68 Absolut
lt 2 12 17,6
gt 2 33 48,5
40 Bergischen TraumastudiePTBS bei Suchtpatienten
n 68 Absolut
PTBS Vollbild 7 10,3
PTBS Teilremission 9 13,2
PTBS Lifetime 16 23,5
41Diagnostik bei Traumatisierung
- traumabezogene Anamnese
- Peritraumatische Dissoziation
- Quantifizierung der Symptome
- Dissoziation
- Depression
- Angststörung
- Komplextraumatisierung
42Therapeutische Erstmaßnahmen
- Schwere Unruhezustände und Stupor direkt in
ärztliche Behandlung - Beruhigung und Aufklärung über das Phänomen
- Schutz vor weiterer Traumatisierung
- Erfahrung von Kontrolle über die Situation wieder
aufbauen - Wechsel zwischen Ablenkung und Traumagespräch
- Erarbeitung von Ressourcen
- Imaginative Übungen
- u.U. medikamentöse Beruhigung (cave Benzos)
43Therapie psychotraumatischer Störungen
- Stabilisierung
- Traumabearbeitung
- Integration
- nach P.Janet 1907
44Primäre Therapeutische Ziele
- stabile und sichere körperliche Situation
- sichere psychosoziale Situation
- Förderung von Autonomie
- Wiedererlangung eigener Kontrolle
- Mobilisierung eigener Reserven und Kraftquellen
- Mobilisierung sozialer Unterstützung
45Kontraindikationen für die Traumabearbeitung
- absolute Kontraindikationen
- Psychose
- Suicidalität
- Täterkontakt
- Relative Kontraindikationen
- instabile psychosoziale Situation
- schlechte körperliche Verfassung
- mangelnde Affekttoleranz
- anhaltende Dissoziationsneigung
- autoaggressives Verhalten
- mangelnde Distanz zum Trauma
46Psychotherapie psychotraumatischer Störungen
- Kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken (z.B.
Foa, Meichenbaum) - Psychodynamische Verfahren
- Imaginativ-hypnotherapeutische Verfahren
(Reddemann, Sachse) - EMDR (eye movement desensitisation and
reprocessing) - Pharmakotherapie
47Pharmakotherapie
- Behandlung bestimmter Zielsymptome Angst,
Depression, Unruhe, Impulsdurchbrüche,
psychotisches Erleben - Antidepressiva SSRI - Sertralin
(Gladem,Zoloft), Paroxetin (Seroxat,
Tagonis), Fluoxetin (Fluctin) Citalopram
(Cipramil, Cipralex) - TZA geringere Wirksamkeit. Ausnahme Trimipramin
- Stimmungsstabilisierer nicht zu früh einsetzen
- Cave Benzodiazepine, Suchtgefahr, Verlängerung
der Instabilität
48Imaginative Verfahren
- Schon in frühster Phase einsetzbar
- Physiologische Gründe Inaktivierung des
Sprachzentrums im Traumaprozess daher verringerte
Ansprechbarkeit für rein verbale Methoden - Gute Kombinierbarkeit mit anderen Methoden
- Akzeptanz und Compliance Imaginative Verfahren
werden von den Patienten gut angenommen - Erleben von Kontrolle als Gegengewicht zu den
traumatischen Erfahrungen der völligen Ohnmacht,
Hilflosigkeit und des Ausgeliefert seins
49Stichworte zu Therapiemodellenbei Sucht und PTBS
- Frage Sequenzielles, paralleles oder
- integriertes Vorgehen?
50Erfahrungen aus der Traumatherapie
- Stabilisierung vor Traumaarbeit
- Keine Traumazentrierung während Labilisierung
- Keine Traumakonfrontation in der Gruppe
- Traumabearbeitung in der Einzeltherapie
- Geschlechtertrennung in den Gruppen
- Förderung der Selbststeuerung
- Psychoedukation PTBS, Dissoziation, Sucht
- Gefahren durch geschwächte Stressregulation
- Konfrontation -gt Stress -gt Intrusion -gt
Rückfall
51Der NotfallkofferDissoziationsstopp und
Spannungsregulation
- Ziel
- Abbau von Spannungen
- Vernünftiges Denken und Handeln trotz Stress
- Steigerung der Stresstoleranz
- Weg
- individuell effektiver Weg zur Ablenkung
- zur Selbstbesänftigung
- welche Phantasien helfen bei der Stresstoleranz
- Liste von Fertigkeiten ( Notfallkoffer)
- Imaginationsübungen, z.B. sicherer Ort