Title: Einf
1Einführung in die Germanistische Linguistik
- 12. Sitzung
- Vom Satz zum Text
2Was ist ein Text?
- Ein Text ist mehr als die Abfolge von Sätzen in
der Zeit (im Schreibfeld). Worin besteht dieses
Mehr? - Der Text bildet eine thematische Einheit, einen
thema-tischen Bogen. Da es verschieden große
Einheiten gibt unterscheiden wir im Aufbau des
Textes Absätze, Kapitel (Unterkapitel), Bücher
(ganze Reden), Werke (Seien von Büchern oder
oralen Produktionen). - In der Abfolge der Sätze gibt es Verbindungen,
Vernetzungen, die mit eigenen sprachlichen
Mitteln markiert werden. Man spricht von der
Kohäsion des Textes.
3Text und Wissen
- Der Text setzt ein wissen beim Sprecher/Schreiber
und beim Hörer/Leser voraus, greift auf diese
Wissensbestände zu und trägt zum Aufbau/zur
Veränderung des Wissens bei. Man unterscheidet
dabei verschiedene Formen des Wissens - Weltwissen (persönliches Erfahrungswissen,
Alltagswissen, Fachwissen) - Handlungswissen, d.h. wie handele ich in
bestimmten Situationen in Restaurant, im
Supermarkt, in der Schule, im Krankenhaus usw.
Man spricht auch von Skripts. - Textmusterwissen. Wie schreibe ich einen Brief?
Wie erzähle ich einen Witz, Wie erzähle ich eine
(spannende) Geschichte? Wie beschreibe ich eine
Landschaft, einen Menschen? Wie argumentiere ich
für eine Sache?
4Textfunktion und Textsorten
- Texte können sehr unterschiedliche Funktionen
erfüllen (Zwecken dienen, Folgen haben) - Sie können an den Hörer/Leser appellieren, ihn zu
etwas auffordern Wahlplakate, Werbeanzeigen,
Anträge. - Sie können dazu dienen den Kontakt zu pflegen
small talk bei Empfängen, Gespräche über den
Gartenzaum, beim Essen Grußkarten usw. - Sie können unterhalten, Langeweile zerstreuen,
ästhetisches Vergnügen bereiten. - Sie können schlicht informieren Nachrichten ,
Sachtexte
5Thema-Entfaltung in Texten
- Die thematische Kohärenz eines Textes kann in
unterschiedlicher Weise realisiert werde man
spricht von Themenentfaltung (Duden,1422-1431).
Folgende Grundformen existieren - Deskriptive Themenentfaltung,
- Narrative Themenentfaltung,
- Argumentative Themenentfaltung.
6Deskriptive Themenentfaltung
- Deskriptive Texte oder Textpassagen beschreiben
einen Gegenstand, einen Ort, eine Person, eine
Situation. Beispiel eine Bildbeschreibung in der
Kunstwissenschaft), eine Personenbeschreibung
(bei der Polizei), eine Situationsbeschreibung
(nach einem Unfall). - Charakteristisch sind räumliche Beschreibungen
vorne, hinten, oben, unten neben dem Auto,
hinter der Kirche, am rechten Rand des Bildes.
7Beispiel Hermann Hesse Unterm Rad,
Kapitelanfang, Beschreibung des Klosters
Maulbronn
- (1) Im Nordwesten des Landes liegt zwischen
waldigen Hügeln und kleinen stillen Seen das
große Zisterzienserkloster Maulbronn. - (2) Weitläufig, fest und wohl erhalten stehen
die schönen alten Bauten und wären ein
verlockender Wohnsitz, denn sie sind prächtig,
von innen und außen, und sie sind in den
Jahrhunderten mit ihrer ruhig schönen, grünen
Umgebung edel und innig zusammengewachsen. - (3) Wer das Kloster besuchen will, tritt durch
ein malerisches, die hohe Mauer öffnendes Tor auf
einen weiten und sehr stillen Platz. - (4) Ein Brunnen läuft dort, und es stehen alte
ernste Bäume da und zu beiden Seiten alte
steinerne und feste Häuser und im Hintergrunde
die Stirnseite der Hauptkirche mit einer
spätromanischen Vorhalle, Paradies genannt, von
einer graziösen, entzückenden Schönheit
ohnegleichen.
8- (5) Auf dem mächtigen Dach der Kirche reitet
ein nadelspitzes, humoristisches Türmchen, von
dem man nicht begreift, wie es eine Glocke tragen
soll. - (6) Der unversehrte Kreuzgang, selber ein
schönes Werk, enthält ein Kleinod eine köstliche
Brunnenkapelle das Herrenrefektorium mit kräftig
edlem Kreuzgewölbe, weiter Oratorium,
Parlatorium, Laienrefektorium, Abtwohnung und
zwei Kirchen schließen sich massig aneinander. - (7) Malerische Mauern, Erker, Tore, Gärtchen,
eine Mühle, Wohnhäuser umkränzen behaglich und
heiter die wuchtigen alten Bauwerke. - (8) Der weite Vorplatz liegt still und leer und
spielt im Schlaf mit dem Schatten seiner Bäume
nur in der Stunde nach Mittag kommt ein
flüchtiges Scheinleben über ihn. - (9) Dann tritt eine Schar junger Leute aus dem
Kloster, verliert sich über die weite Fläche,
bringt ein wenig Bewegung, Rufen, Gespräch und
Gelächter mit, spielt etwa auch ein Ballspiel und
verschwindet nach Ablauf der Stunde rasch und
spurlos hinter den Mauern. - (10) Auf diesem Platz hat schon mancher gedacht,
hier wäre der Ort für ein tüchtiges Stück Leben
und Freude, hier müßte etwas Lebendiges,
Beglückendes wachsen können, hier müßten reife
und gute Menschen ihre freudigen Gedanken denken
und schöne und heitere Werke schaffen.
9Kloster Maulbronn Plan und Kirche, Vorhalle
(Paradies) und Unterichtsräume (früher
Dormitorien)
10Narrative Textentfaltung
- Charakteristisch für die narrative Struktur, für
das Erzählen ist ein Kern von Ereignissen, die in
ihrer zeitlichen Abfolge dargestellt werden, d.h.
die temporale Abfolge von Sätzen steht im
Zentrum. - Dieser Kern lässt sich untergliedern in
- Die Komplikationsphase,
- Den Höhepunkt (Klimax),
- Die Auflösung (Resultat).
- Hinzu kommen
- Zu Beginn eine Orientierung (Ausgangssituation)
- Eine Evaluation (verstreut über den Text)
- Am Ende ein Coda (Moral der Geschichte)
11Beispiel Märchen (Brüder Grimm)
- Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er
hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, dass
er mit dem König zu sprechen kam, und um sich ein
Ansehen zu geben, sagte er zu ihm "Ich habe eine
Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen." Der
König sprach zum Müller "Das ist eine Kunst, die
mir wohl gefällt, wenn deine Tochter so geschickt
ist, wie du sagst, so bring sie morgen in mein
Schloss, da will ich sie auf die Probe stellen." - Als nun das Mädchen zu ihm gebracht ward, führte
er es in eine Kammer, die ganz voll Stroh lag,
gab ihr Rad und Haspel und sprach "Jetzt mache
dich an die Arbeit, und wenn du diese Nacht durch
bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold
versponnen hast, so musst du sterben." Darauf
schloss er die Kammer selbst zu, und sie blieb
allein darin. Da saß nun die arme Müllerstochter
und wusste um ihr Leben keinen Rat sie verstand
gar nichts davon, wie man Stroh zu Gold spinnen
konnte, und ihre Angst ward immer größer, dass
sie endlich zu weinen anfing. Da ging auf einmal
die Türe auf, und trat ein kleines Männchen
herein und sprach "Guten Abend, Jungfer
Müllerin, warum weint Sie so sehr?" - "Ach", antwortete das Mädchen, "ich soll Stroh zu
Gold spinnen und verstehe das nicht." Sprach das
Männchen "Was gibst du mir, wenn ich dirs
spinne?" "Mein Halsband", sagte das Mädchen. Das
Männchen nahm das Halsband, setzte sich vor das
Rädchen, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal
gezogen, war die Spule voll. Dann steckte es eine
andere auf, und schnurr, schnurr, schnurr,
dreimal gezogen, war auch die zweite voll und so
gings fort bis zum Morgen, da war alles Stroh
versponnen, und alle Spulen waren voll Gold.
12- Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück und
erzählte "Neue Namen habe ich keinen einzigen
finden können, aber wie ich an einen hohen Berg
um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute
Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und
vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer
sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte
auf einem Bein und schrie - "Heute back ich,Morgen brau ich,Übermorgen hol
ich der Königin ihr KindAch, wie gut ist, dass
niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!" - Da könnt ihr denken, wie die Königin froh war,
als sie den Namen hörte, und als bald hernach das
Männlein hereintrat und fragte "Nun, Frau
Königin, wie heiß ich?" fragte sie erst "Heißest
du Kunz?" "Nein." "Heißest du Heinz?" "Nein."
"Heißt du etwa Rumpelstilzchen?" - "Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der
Teufel gesagt", schrie das Männlein und stieß mit
dem rechten Fuß vor Zorn so tief in die Erde,
dass es bis an den Leib hineinfuhr, dann packte
es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen
und riss sich selbst mitten entzwei.
13Fragen zum Märchen
- Wie gliedert sich das Märchen?
- Welche charakteristischen Rhythmen enthält es?
- Was unterscheidet das Märchen von einer
Alltagserzählung (z.B. eines persönlichen
Erlebnisses? - Ist das Märchen Teil der alltäglichen Erzählens
oder Teil des literarischen Erzählens?
14Alltagsargumentionen
- Prämisse 1 (singulär) Hans hat Fieber
- Prämisse 2 (generell) Wer Fieber hat, hat Grippe
- Schlussfolgerung Hans hat Grippe
- Viele Argumentationen sind implizit, d.h. nicht
alle Prämissen werden genannt, die
Schluss-folgerungen erfordern die Annahme nicht
genannte Prämissen. - Dadurch sind leicht Täuschungen und
Missver-ständnisse möglich. - Vgl. http//www.teachsam.de/deutsch/d_rhetorik/arg
u/arg_mod_3_1_2.htm
15Kohärenz im Text
- Kohärenz (lat. cohaerentia Zusammenhang). Der
Zusammenhang oder die inhaltliche
Zusammengehörigkeit von Einheiten eines
gesprochenen oder geschriebenen Textes. Kohärenz
ist nicht nur als eine Eigenschaft von Texten zu
betrachten, sondern auch als Ergebnis kognitiver
(konstruktiver) Prozesse des Hörers/Lesers, das
im Text oft formal nicht zum Ausdruck gelangt
der Hörer/Leser muss den notwendigen Zusammenhang
konstruieren. - Kohärenz kann betrachtet werden als
- Eigenschaft referentieller Sachverhaltszusammenhän
ge, - Eigenschaft des sozial-kommunikativen Rahmens,
- Prozess und Resultat kreativer, konstruktiver
Rezeption - Vgl. http//www.fb10.uni-bremen.de/linguistik/khw
agner/lektuerekurs/textwiss/kohaerenz.htm
16Isotopie (thematische Äquivalenz)
- Geht man von semantischen Merkmalen aus, so
können diese unabhängig von Wortarten und
Satzstruktur mehrfach im Text vorkommen, und so
zu dessen Gestalt beitragen oder diese
strukturieren - Beispielltder Schimmelgt Er ritt gemächlich auf
seinem Wallach zwischen den Deichen in Richtung
auf das Dorf zu...Der Weiße schnaubteverächtlich
einmal kurz aus den Nüstern, wandte sich auf
den Hinterbeinen und galoppierte davon...(aus
Theodor Storm, Der Schimmelreiter)
17Aktantenanalyse nach Greimas
- Aktanten
- 1. Subjekt/Objekt
- 2. Sender/Empfänger
- 3. Helfer/Widersacher
- Handlungsschema
- Begehren, Suche oder Absicht
- Kommunikation
- Helfende bzw. behindernde Strukturen
- Semiotisches Quadrat (Carré sémiotique). Es ist
ein ergiebiges Modell für die Themen- und
Figurenanalyse. Beispiel - Held ? Anti-Held
(Widersacher) - Helfer des Helden ? Helfer des Anti-Helden
18Semiotisches Quadrat
Zentrale Merkmale, die häufiger in einem Text
vorkommen, können durch das semiotische Quadrat
in eine weitereichende Ordnung gebracht werden.
Dadurch kann eine Art Skelett des Textes oder der
Argumentation herauspräpariert werden.
19Thematische Progression
- Durch Beziehungen zwischen Themen benachbarter
Sätze bedingter Textaufbau. Haupttypen der
thematischen Progression sind danach - Einfache lineare Progression (elementarster Typ)
- Das Rhema der ersten Aussage wird Thema der
zweiten Aussage, das Rhema der zweiten Aussage
wird Thema der dritten usw.(Beispiel Herr M.
hat drei Söhne. S i e wohnen in Bonn. D i e s
e - S t a d t . . . )
- Progression mit durchlaufendem Thema
- Bei einer Reihenfolge von Aussagen hat jede das
gleiche Thema mit je einem neuen
Rhema.(Beispiel S e i n ä l t e s t e r S o
h n heißt Uwe. E r ist 27 Jahre alt. I h m
geht es gut. U w e ist . . . ).
20Kohäsion im Text
- Kohäsion. Bindung, Zusammenhang.
- Die Textzusammenhänge werden durch grammatische,
lexikalische, phonologisch-phonetische und
orthographische Mittel zum Ausdruck gebracht
werden. - Typen der K. sind Referenz (Pronomina,
Demonstrativa, Komparativa), Substitution,
Ellipse, Konjunktion. - Beispiele
- Pro-Formen (Anapher, Katapher, Pro-Verb,
Pro-Adverb, Pro-Adjektiv), - Rekurrenzen (auch partielle) bzw. lexikalische
Wiederholungen, - Paraphrasen, alternative Formulierungen desselben
Sachverhaltes, - Ellipsen,
- Tempus-Formen,
- Konjunktionen.
21Pronominale Kohäsion Beispiel
- Die angeberische Maus
- Eine betrunkene Maus ging in einen Wald. Sie lief
und lief, torkelte hin und her. Und als sie sehr
müde wurde, begab sie sich zu einer Eiche,
verkroch sich im Laub und schlief ein.Unter
dieser Eiche führten ein Löwe und ein Tiger einen
Kampf auf Leben und Tod. Nach einem großen
Gefecht gingen beide zugrunde.Als die Maus
erwachte, kroch sie aus den Blättern heraus und
räkelte sich. Sie schaute hin und her. Und als
sie den toten Löwen und Tiger erblickte, sagte
die Maus zu sich "Was ein betrunkener Mann im
Suff nicht alles vermag! - Markieren Sie pronominale Wiederaufnahmen und
Ellipsen
22Fragen zur Textlinguistik
- Welche Arten der Textentfaltung gibt es ?
- Nennen Sie mehrere Textsorten.
- Was bedeutet Textkohärenz? Geben Sie einige
Beispiele. - Was ist Isotopie?
- Was bedeutet Textkohäsion? Geben Sie einige
Beispiele. - Geben Sie Beispiele für eine thematische
Progression im Text. - Welche Kontexteffekte und Textfunktionen haben ad
hoc Komposita? Geben Sie einige Beispiele.