Title: Kollektive Identit
1Kollektive Identität Konflikt und Gruppenbildung
2Was versteht man unter 'kollektiver Identität'?
Was versteht man unter dem Konzept 'Konflikt'?
Wie hängen 'Konflikt' und 'kollektive Identität'
zusammen?
3Kollektive Identität vs. Persönliche Identität
Individuen definieren ihr Selbstbild über
persönliche Eigenschaften und über Merkmale, die
sich aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen
ergeben.
4Kollektive Identität vs. Persönliche Identität
Die Identität einer Gruppe ist die Schnittmenge
aller wahrgenommenen Gemeinsamkeiten der
Mitglieder dieser Gruppe.
5Kollektive Identität ein Versuch der Definition
gemeinsames Gefühl der 'One-ness' oder 'We-ness'
verankert in realen oder imaginären gemeinsamen
Zuschreibungen oder Erfahrungen zwischen denen,
die das Kollektiv ausmachen
in Abhängigkeit oder Kontrast zu einer oder
mehreren wirklichen oder imaginären Kollektiven
Anderer
ist als Prozess anzusehen
impliziert gemeinsames handeln
6Funktion der kollektiven Identität
- Als Meta-Konstrukt stellt kollektive Identität
Kategorien bereit, die zur (psychologischen)
Gruppenbildung notwendig sind (Minimal-Group-Parad
igm).
- sorgt zusammen mit anderen Mechanismen für die
Gruppenkohäsion.
(Ein hoher Kohäsionsgrad tritt dann ein, wenn die
kollektive Identität Merkmale bereitstellt, die
es den Gruppenmitgliedern ermöglichen, sich über
ihre Gruppenzugehörigkeit von anderen Individuen
stark abzugrenzen.)
- Orientierungshilfe für Akteure in bestimmten
Situationen
7Was meint das Konzept 'Konflikt'?
- in jeder Interaktion zwischen Personen oder
Gruppen kommt es entweder zum Konflikt oder zur
Integration (Kooperation, etc)
- ein Konflikt tritt dann ein, wenn mindestens zwei
Parteien beabsichtigen, an sich gegenseitig
ausschließenden Aktivitäten teilzunehmen
allgemein kann folgende Definition zugrunde
gelegt werden
Ein Konflikt tritt immer dann ein, wenn zwei oder
mehr Personen (Gruppen) anstreben, das selbe
Objekt zu besitzen, den selben Platz oder die
selbe exklusive Position einzunehmen,
inkompatible Rollen spielen, inkompatible Ziele
vertreten, oder sich gegenseitig ausschliessende
Mittel benutzen, um ihre Ziele zu erreichen.
8(No Transcript)
9In welchen Formen kann Konflikt auftreten?
grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen
gewalttätigen und friedlichen Konflikten
Georg Simmel unterscheidet zwischen Krieg, Streit
und Konkurrenz
Teilung der Konflikte in Wert- und
Interessenkonflikte
Interessenkonflikte Kampf um knappe
Mittel Wertkonflikte gegensätzliche Urteile von
Konfliktgegnern
10Konflikt und kollektive Identität Die Funktion
des Sozialen Konflikts
L.A. Coser The Functions of Social Conflict,
1954, 1965 dt. Übersetzung
Ziele
- versucht sozialen Wandel zu erklären
- Betrachtungen auf Makroebene
- Hauptannahme Konflikte sind nicht unbedingt
schädlich und dysfunktional für ein soziales
System, sie können positiv funktionional sein
- Rückbezug auf Simmels Der Streit (1903)
11Wie geht Coser vor ?
legt Georg Simmels Thesen zugrunde und überprüft
dann deren Richtigkeit unter verschiedenen
Bedingungen
Die Bedingungen ergeben sich aus der Einbeziehung
verschiedener Variablen
- Konfliktform
- Gruppenstruktur
- Konflikttyp
- soziale Mobilität
- Grad der Differenzierung
- Kohäsionsgrad der Gruppe vor
Eintreten des Konflikts
- Größe der Gruppe
- Engagement der Gruppenmitglieder
- Ausrichtung auf Dauer des Konflikts
12Wie geht Coser vor ?
Untersuchung verschiedener Mechanismen
- Suche nach äußeren Feinden im Sinne Allports
funktionaler Autonomie der Motive - Suche nach
inneren Feinden Sündenbock-Mechanismus -
Objektivierung des Konflikts
- Wirkung der Objektivierung auf die
Konfliktintensität - Wirkung d. Objektivierung
auf d. Beziehung zw. den Gruppen
13Konflikt und Gruppengrenzen Gruppenfestigende
Funktionen des Konflikts
Simmels Thesen
- Der Konflikt setzt Grenzen zwischen Gruppen
innerhalb eines sozialen Systems, indem er das
Gruppenbewußtsein und das Gefühl der Absonderung
von anderen stärke und so die Gruppenidentität
schaffe.
- Der Konflikt zwischen Gruppen erhält das gesamte
soziale System, denn er schafft ein Gleichgewicht
zwischen seinen verschiedenen Gruppen
(Kasten-system in Indien).
diese Thesen überprüft Coser dann in analytischer
Weise
ad 1. die meisten Soziologen stimmen hier
überein explizite Merkmale kollektiver
Identität treten erst im Konfliktfall deutlich
hervor
ad 2. These muss weiter qualifiziert werden,
die Variable soziale Mobilität muss
mitbedacht werden
14Systeme, die soziale Mobilität zulassen
erlauben (innere) Konflikte, sozialer Aufstieg
ist Ideal
führen zu Ressentiments Gegnerschaft zwischen
den verschiedenen Schichten ist gemischt mit
Hinneigung
der Konflikt sorgt für das Gleichgewicht im System
Orientierung an Merkmalen kollektiver Identität
einer übergeordneten Gruppe diese Orientierung
sorgt für sozialen Wandel
Systeme, die soziale Mobilität nicht zulassen
soziale Hierarchie wird akzeptiert
es kommt nicht zu Konflikten sondern Antagonismen
führen lediglich zu einer feindlichen Haltung
(kein offener Konflikt)
die vorgegebene, als legitim angesehene Struktur,
hält das System im Gleichgewicht
kollektive Identität wird hier vom System
festgelegt und entsteht nicht durch Konflikt
15Konflikt mit Fremdgruppen und Gruppenstruktur
Konflikt mit Fremdgruppen verstärkt den inneren
Zusammenhalt
Simmels These
Der Konflikt mit Fremdgruppen verstärkt den
inneren Zusammenhalt und erhöht die
Zentralisierung.
Coser überprüft diese These unter folgenden
Bedingungen
Konflikttyp kriegerisch oder friedlich
Kohäsionsgrad des Systems vor dem Konflikt hoch
oder gering
Struktur des sozialen System differenziert oder
undifferenziert
System der gemeinsamen Werte grundsätzlicher
Konsens oder Dissens
16Schlussfolgerungen unter Berücksichtigung der
Variablen
Der Konflikt mit einer anderen Gruppe führt zur
Aktivierung der Energien bei den
Gruppenmitgliedern und damit zu größerem
Gruppenzusammenhalt. Ob mit zunehmenden
Zusammenhalt zunehmende Zentralisierung Hand in
Hand geht, hängt von der Art des Konflikts und
vom Typ der Gruppe ab.
Besteht nur ein geringes Maß an Kohäsion, kann
Despotismus ein Mittel darstellen, die Energien
der Gruppe zu aktivieren.
Besteht neben dem Mangel an Kohäsion ein Mangel
an Konsens, droht das System zu zerbrechen.
In welchem Zusammenhang stehen diese Erkenntnisse
Cosers mit dem Thema 'Kollektive Identität'?
17Welche Variablen sind von kollektiver Identität
abhängig?
Kohäsionsgrad kollektive Merkmale erhöhen
Kohäsionsgrad.
Struktur des Systems Undifferenziertheit kann
z.B. Teil der kollektiven Identität sein.
System gemeinsamer Werte kollektive Identität
steht auch für gemeinsame Werte.
Bestimmte Merkmale kollektiver Identität lassen
demnach Vorraussagen über die Wirkung eines
äußeren Konflikts auf die Gruppe zu.
18Konflikt mit Fremdgruppen und Gruppenstruktur De
r Konflikt mit einer anderen Gruppe bestimmt die
Gruppenstruktur und die Reaktion auf inneren
Konflikt
Simmels These Die Heftigkeit der Reaktion einer
Gruppe auf inneren Konflikt hängt von bestimmten
Aspekten der Gruppenstruktur und von der
Intensität der Konfliktsituation ab.
Cosers Beobachtung die Struktur einer Gruppe
ist von drei Faktoren abhängig 1. relative
Größe 2. Grad des Engagements der Mitglieder 3.
erwartete Häufigkeit und Dauer eines Konfliktes
mit einer anderen Gruppe
19Gruppengröße und Grad des Engagements sind nicht
notwendigerweise voneinander abhängige
Variablen, z.B. Kreisversammlung, Landtag,
Bundestag
Intensität eines äußeren Konflikts übt auf
Gruppenstruktur Druck aus z.B. Widerstandsämpfer
im 2. Weltkrieg
Umgekehrt bestimmt die Gruppenstruktur die
Intensität des äußeren Konflikts Wechselwirkung
Unterscheidung zwischen starren und flexiblen
Gruppenstrukturen
starr kleine Gruppe starkes
Engagement struktureller Radikalismus/Intoleranz
nach Innen meistens bedingt durch lang
anhaltenden starken äußeren Konflikt
flexibel große Gruppe Engagement
weniger nach innen tolerant schwacher
Konflikt/ nicht lang anhaltend
20Gruppenstruktur und kollektive Identität
kleine Gruppen weisen durch ihre Radikalität und
Intoleranz weniger Merkmale auf, aus denen sich
ihre kollektive Identität speisen kann
exklusiv z.B. IRA, Geheimlogen, fanatische
Sekten
in großen, flexiblen, toleranten Gruppen steht
ein größeres Set von Merkmalen bereit, die ein
Gemeinschaftsgefühl hervorrufen können,
inklusiv z.B. kath. Kirche, EU
21Konflikt mit Fremdgruppen und Gruppenstruktur Di
e Suche nach Feinden
Simmels These Auf dem Gedanken aufbauend,
äußerer Konflikt erhöhe den Gruppenzusam-menhalt,
kann es sein, dass Kampfgemeinschaften
tatsächlich Feinde anziehen, um den
Gruppenzusammenhalt zu garantieren oder zu
verstärken.
Coser stimmt dieser These zu, differenziert aber
zwischen äußeren und inneren Feinden, zwischen
realen und imaginären.
22Warum schaffen oder suchen sich Gruppen äußere
Feinde?
betrifft Gruppen, in denen Konflikt funktional ist
Allport funktionale Autonomie der Moitive -
M., die ursprünglich in Verfolgung eines
bestimmten Ziels entstanden sind, können weiter
wirken, obwohl das urspr. Ziel nicht mehr besteht
ein äußerer Feind führt zu äußerem Konflikt, was
zu Gruppenzusammenhalt führt
Feind kann real oder imaginär (auch abstrakt)
sein d. Konsequenzen d. Mechanismus werden real
sein
ein äußerer Feind stiftet in einer Gruppe
Merkmale kollektiver Identität (Gruppe stimmt in
Gegnerschaft überein)
z.B. Palästinenser (ingroup) Israelis
(outgroup) Atomkraftgegener im kalten Krieg
Kommunisten bzw. Imperialisten
23Warum schaffen oder suchen sich Gruppen innere
Feinde?
Sündenbock-Mechanismus bei Niederlage in äußeren
Konflikten
Stärkung des Gruppenzusammenhalts durch
Ausschluss von (angeblichen) Abweichlern z.B.
kirchliche Inquisition, Antisemitismus
Vorurteile und Diskriminierung können in der
kollektiven Identität verankert sein.
Kollektive Identität wird hier geschaffen durch
gezielte Ausklammerung bestimmter Merkmale.
24Ideologie und Konflikt Die starke Ideologie
einer Gruppe kann in Konfliktsituationen auf die
Mitglieder der Gruppe depersonalisierend wirken.
Simmels These 1. Das Kollektivziel, das
persönliche Interessen transzendiert, macht den
Kampf intensiver. 2. Ein Element zwischen den
streitenden Parteien besteht darin, dass beide
die Norm erfüllen, keine persönlichen Angriffe zu
führen.
Coser abstrahiert
1. die Wirkung der Objektivierung des Konflikts
auf die Konfliktintensität
2. die Wirkung der Objektivierung auf d.
Beziehung zw. den Gegenern
25Unter welchen Bedingungen erhöht die
Objektivierung des Konflikts die
Konfliktintensität?
nur in solchen Gruppen, in denen persönl. Handeln
(Streben) nicht durch Wertesystem legitimiert
ist überindividuelles Handeln hat höheren
Stellenwert
Wie funktioniert der Mechanismus?
1. Indiv. nimmt repräsentative Rolle ein
Vertreter der Gruppe 2. sieht sich selbst als
Verkörperung ihrer Ziele und ihrer Macht 3.
Gruppe wird zum Teil des Selbst
Welche Konsequenzen hat das?
Bedrohung d. Gruppe Bedrohung des Selbst
Verschärfung des Konflikts durch Ausschaltung
persönlicher Faktoren, die normalerwese
modifizierende Elemente hervorbringen z.B.
Soldat
26Zusammenhang Objektivierung und kollektive
Identität
Merkmale der kollektiven Identität einer Gruppe
determinieren, ob die Objektivierung überhaupt
eintritt.
Durch die Objektivierung gehen Merkmale
kollektiver Identität vollends im Individuum auf.
Merkmale der kollektiven Identität hemmen durch
Konfliktobjektivierung Merkmale der pesönlichen
Identität. gtDepersonalisierung
Theoriegestützte (ideologische) Merkmale können
Depersonalisierungseffekte verstärken (Kampf, um
Wahrheit).
272. Aspekt Konflikt als Interaktion
jede objektivierte Art von Konflikt stellt einen
Link zwischen kontrahierenden Gruppen her -
gemeinsames Ziel (Gewinner eines Pokals) - u.U.
gleiche Mittel (11 gegen 11 Torwart, Abwehr,
Mittelfeld, Stürmer, kein Doping) - u.U. gleiche
Normen und Werte (FairPlay)
Objektivierung eines Konflikts kann auf
nächsthöherer Kategorisierungsebene zu Merkmalen
kollektiver Identität führen.
28Zusammenfassung
Der Konflikt lässt Grenzen (Gegensetzlichkeiten)
zwischen Gruppen sichtbar werden.
Merkmale kollektiver Identität gehen in Variablen
auf, die direkt mit der Struktur einer Gruppe
zusammenhängen.
Die Struktur einer Gruppe ist (zusammen mit
anderen Variablen) entscheidend im Fall eines
Konflikts. Sie bestimmt, ob der Konflikt postiv
funktionale Konsequenzen hat oder nicht.
Feinde dienen zum Erkennen kollektiver Merkmale,
indem sie Negativmerkmale verkörpern. Ein Kampf
gegen sie fördert den Gruppenzusammenhalt.
29Merkmale kollektiver Identität sind Vorrausetzung
für den Prozess der Objektivierung des Konflikts.
Depersonalisierungseffekte führen dazu, dass
Merkmale der kollektiven Identität Merkmale der
persönlichen Identität im Fall eines Konflikts
verdrängen.
Durch Objektivierung können auf der nächsthöheren
Kategorisierungsebene kollektive Merkmale und
damit kollektive Identität entstehen.
30Schluss